Vorletztes Wochenende vor den Zwischenprüfungen. Höchste
Zeit etwas zu unternehmen. Nach Canakkale soll es gehen. Der Ort, an dem die
Truppen unter der Leitung Atatürks die Ententen aufhielten. Dort 1915, im
Ärmelkanal.
Die Aktion war mal wie immer von mir stümperhaft
vorbereitet. Ich fragte meine türkische Mitwohnerin, ob sie für mich im
Reisebüro anrufen kann, ob heute Nacht noch ein Bus dorthin fährt, diese
bejahen und ich packte meine Sachen und stehe 3 Stunden später, um Mitternacht,
vor dem Reisebüro. Geschlossen. „Was? Das ist jetzt nicht euer Ernst, oder?
Warum ist das denn jetzt geschlossen? Ah shit, vielleicht hätte ich mir mein
Ticket vorher kaufen sollen. Das Büro hat ja nur bis 22 Uhr auf“. Eine
Erkenntnis schlauer stehe ich mit meinem knallroten, vollgepackten Rucksack um
Mitternacht am Reisebüro und warte auf einen Einfall. Ich beschließe Deniz
nochmals anzurufen. Vielleicht hat sie eine Idee. „Reich mir eine türkischsprechende Person. Ich werde ihr/ihm die Situation erklären“, antwortet sie mir
hörbar gerade von ihrem Schlaf entrissen. Nach wenigen Minuten wird mir das Telefon von einer Türkin wieder übergeben „Das ist gar kein großes Problem. Du
kannst vielleicht ein Ticket im Bus kaufen. Die Frau mit der ich gerade
gesprochen habe, wird dir weiterhelfen“. Ok, nun denn. Wie ein Schuljunge folge
ich den Anweisungen der türkischen Frau, die mich zu einem anderen Bus bringt,
in den ich mit ihr im vollsten Vertrauen zusammen einsteige. Nach 10min Fahrt frage ich das
erste Mal vorsichtig in holprigen türkisch: „Sag mal, wo fährt der Bus
eigentlich hin?“ – „Zu einem Busbahnhof. Dort hast du vielleicht Glück.“
Vielleicht Glück? Das hört sich ja optimistisch an, dafür, dass ich um 1 Uhr
morgens 1 Stunde lang zu einem unbekannten Ort unterwegs bin.
Um 1:30 Uhr komme ich dort an. Das Büro hat noch geöffnet.
Ich kaufe mir ein Ticket, aber der nächste Bus kommt erst um 6.30 Uhr. Um diese
Uhrzeit wollte ich eigentlich schon fast da sein. 5 Stunden muss ich hier also
verbringen. „Du kannst dort schlafen. Ich kenne den Ort“, versucht mich Deniz
mit Fernunterstützung zu ermutigen, „einfach ein wenig bequem machen“. Einfach
ein wenig bequem machen? Ich blicke mich um: 7 Menschen sitzen hier im
Wartesaal, fast alle sind in den seltsamsten Posen eingeschlafen, bei denen ich
schon vom Hinsehen Nackenverspannungen bekomme. Im Rhythmus von 20min kracht
immer mal wieder eine Durchsage in der Lautstärke eines neben dem Ohr
platzierten Megafons. Ich scheine der einzige zu sein, der in seinen
Sekundenschläfen dadurch regelmäßig geweckt wird. Hinzukommt, dass ich
anscheinend dem Personal suspekt erscheine. Ich werde mehrmals wachgerüttelt
und ausgefragt, was ich hier mache und wo ich hin will. Einmal muss ich sogar
mein Ticket als Beweis vorlegen, dass mir geglaubt wird, dass ich ein
Obdachloser bin, der hier einfach nur schlafen will. Naja, so fern ist die
Vorstellung gar nicht.
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Nachgestelltes Seeminen-Boot aus dem frühen 20.Jh. |
Irgendwie und irgendwann nach 6,5 Stunden Fahrt in Canakkale
angekommen, streife ich durch die Stadt und… Ja und was eigentlich? …und warte
das es passiert. Das irgendetwas passiert. Es passiert mir doch sonst immer
etwas. Ich merke, dass ich eine gewisse Erwartungshaltung an meine Trips
aufgestellt habe. Irgendetwas komisches, verrücktes, cooles ist ja immer
passiert. Also…? Also warte ich, ziehe durch ein Museum und da! Ja, das könnte
es sein! Ich treffe Gamze, eine 19-jährige, türkische Erstsemester Studentin
aus Ankara, die mit ihrer Familie hier ist. Wie ein adoptierter Schoßhund folge
ich, wenn sie ruft: „Komm, Benjamin. Hier lang!“ und mir dann die türkischen
Beschreibungen der Ausstellungsstücke übersetzt. Keine 10min dauert es bis unsere Bekanntschaft
zu einer Facebook Freundschaft wurde. Aber das ist leider auch schon der
Höhepunkt unserer Begegnung. Im Ausgang des Museums verabschieden wir uns und
ich werde wieder freigelassen. Insgeheim hoffte ich, dass sie mir helfen kann
einen Schlafplatz für heute Nacht zu finden (denn ich reise ja spontan), am
besten auf einer Couch – am besten auf ihrer Couch – für umsonst. Aber
irgendwie ist das heute nicht mein Tag.
Es folgen 2 Stunden umherirren in der
Stadt und der Erkenntnis, dass selbst das billigste Hostel hier noch 20€ die
Nacht will. Es hat 11° und Windgeschwindigkeiten wie man sie in Deutschland nur
von der Nordsee kennt – keine gute Gelegenheit also, um draußen zu schlafen.
Also muss ich mich doch mit so einem teuren Zimmer inklusiver kalter Dusche im
Flur begnügen. Mitten im Nirgendwo. Ich hätte nicht gedacht, dass mein kleines,
warmes Zimmer mit der mädchenhaft bestickten Bettdeckenbezug (weil meiner
Mitbewohnerin gehörend) so schnell vermissen werde.