Heute ist Trip-Day! Was das heißt? Jeden Freitag machen wir
eine vom Sprachkurs geleitete Fahrt irgendwohin, um die Kultur zu entdecken.
Das ganze wird voll und ganz bezahlt. Heute gehen wir nach Ankara und unser
Plan ist vollgespickt mit Dingen, die wir erledigen wollen. Zu allererst das
Atatürk Museum. Doch was braucht man dafür? Richtig: Ein Transportmittel. Und
wo bekommt man so was? Auf der Straße. Also treffen wir uns doch einfach um
9:30 an der Straße oben. Aus 9:30 Uhr wird in türkischer Zeit automatisch 10
Uhr und da wir Erasmusstudenten sind, wird praktisch 10:30 Uhr daraus. Dumm
nur, wenn man sich irgendwie an das deutsche Zeitkonzept gewöhnt hat und dann
so ziemlich alleine (mit den anderen Deutschen) eine Stunde auf die anderen in
der Sonne warten muss. Zu einem echten türkischen Ausflug gehört es sich
übrigens auch, dass der extra bestellte Bus in türkischer Zeit erscheint. Also
nicht wie ausgemacht um 9:45, sondern 10:45 – aber wir haben uns ja
mittlerweile an das Warten gewöhnt. Es ist also 11 Uhr und das nicht mehr für
möglich gehaltene passiert: Wir fahren los!
Der gnädige türkischer Soldat |
Unser Tourguide erzählt dazu: „Hier sieht man, dass die türkischen Truppen keine bösen Menschen waren. Wir sind stark, aber hilfsbereit (mercyful). Wir haben Waffen, aber wir würden sie nie zum Angriff einsetzen. Wir sind ein friedliches Volk“. „Alles klar. Genug brainwashing“, denke ich und laufe zum nächsten Bild auf dem ich entsetzt feststellen muss, wie die Griechen als kaltblütige Massakrier dargestellt werden (sie töten am Boden liegende türkische Soldaten mit dem Bajonett). Das schlimme an diesem Ort ist, dass es als Wahrheit verkauft wird. Hier wird nationales Gedächtnis geprägt, hier wird definiert wie es früher war und wer der Feind ist/war. Menschen, die sich damit nicht kritisch auseinander setzen saugen das hier auf, gehen dann stolz zu Militärparaden, kaufen sich Waffen und töten damit ausversehen Unbeteiligte.
Und wenn man vor lauter
Freudentaumel (weil zum Beispiel Fenerbahce gegen Galatasaray gewinnt) einfach
nicht mehr den Himmel trifft, dann kann es manchmal auch passieren, dass die
Kugel dem gegenüberliegenden Nachbar in den Kopf fährt. Die türkische „Bildzeitung“
titelte dazu vor einigen Jahren: „Die Türken müssen lernen sich zu freuen, ohne
dabei Menschen zu töten“. Ja, solche Probleme gibt es.
Der Türke wird also als Soldat geboren. Soviel steht fest. Man
muss aber auch beachten, dass die türkische Kultur schon seit jeher positive
Assoziationen mit dem Militär hat: Atatürk selbst war Offizier. Er schaffte es
die griechische Besatzung Istanbuls zu beenden und etablierte im Militär eine
treue Institution, die für seine Werte von Demokratie und Säkularisierung
einstehen sollten. Viermal kam es seitdem bereits dazu, dass eine Regierung vom
Militär gestürzt wurde, weil sie den Offizieren nicht gepasst hatte. Viermal! Das
Militär als Institution mit Werten – das ist für uns Deutsche nicht denkbar. Der Türke und seine Waffe - das ist und bleibt vermutlich eine untrennbare Entität.
Nächster Stopp: Anatolisches Landesmuseum. Ähm… ja... gibt spannenderes. Nächster
Stopp! Ankara Burg. Nach einem steilen Anstieg auf einer dieser gefühlt 10.000
Hügel thront in bescheidener Höhe die „Ankara Burg“. Schweißperlen auf unserer
Stirn suchen langsam ihren Weg nach unten, während wir immer noch dabei sind
die endlos hohen Stufen zu erklimmen. Doch es lohnt sich! Was ein Ausblick! Was
eine gigantische, niemals endende Stadt. Rund um uns herum nur Häuser, Häuser,
Häuser. Man muss dazu sagen, dass Ankara so gut wie keine Hochhäuser hat und
deswegen der Ausblick noch imposanter erscheint. Und dann, pünktlich um 16:00
Uhr beginnt der Imam zum Gebet zu rufen. Aus hunderten von Lautsprechern ertönt
gleichzeitig der melodisch-hypnotische Gesang, der mich zugleich ergreift und
die Stadt verstummen lässt. All der Straßenlärm, all das Gehupe, alles wird
verschluckt und erstickt von einer einzigen Stimme, die lauter nicht sein
könnte. Eine ganze Millionenstadt verstummt. Es ist so unglaublich imposant und
sicherlich einer der eindrucksvollsten Momente, die ich in meinem Leben erlebt
habe.