Es ist 5:13 Uhr, es ist keine Wolke am Himmel zu sehen und
es hat trotz der Uhrzeit noch angenehme 18° Celicius. Während durch das Fenster
des kühlen Zimmers bereits die ersten Sonnenstrahlen zu sehen sind, lasse ich
mich auf mein hart erkämpftes Bett auf dem Hacettepe Campus fallen. Endlich
schlafen.
Aber das Abenteuer beginnt bereits 11 Stunden zuvor. Der
Plan war von Baden-Baden nach Stuttgart Flughafen mit dem Zug zu fahren. Und
bereits nach 5 min habe ich gelernt: Wenn man sich auf eines verlassen kann,
dann auf die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn. Baden-Baden 5min, Karlsruhe
zusätzlich 10 min und Stuttgart nochmals 17 min Verspätung. Hier machen sich
die Sprinterfahrung auf den Bus aus 9 Jahren Schule und 3 Jahre Universität
endlich bezahlt. Stolz wie Oskar und völlig aus der Puste komme ich in
Stuttgart an. Der Flughafen ist so gut wie leer und innerhalb von 35 min sitze
ich am Gate bereit zum Einstieg. Na wenn
ich die Deutsche Bahn überlebt habe, dann schaffe ich alles! Heute die DB,
morgen die Welt!
Auf dem Flug lernte ich nette Deutsch-Türken kennen, die mir
sofort auf einer Landkarte zeigten, was ich alles zu bereisen habe, wenn ich
die Türkei kennenlernen will. Ich habe das Glück, dass einer davon auch in die
Innenstadt von Ankara muss und mich von der Idee abhalten kann auf dem
Flughafen zu übernachten und auf günstige Dolmus-Busse zu warten. Ich steige
also mit meinem neuen portionierten Flugzeugfreund in ein Havas, das mich zur
nächsten Taxi Station bringen soll. Dort angekommen, handelt er mit den
Taxifahrern einen Preis von 15 Lira aus, um mich zur Hacettepe Uni zu bringen.
Unwissend und in vollstem Vertrauen auf mein Glück steige ich in eines der
Taxis, doch ich habe kaum die Tür geschlossen als ein Mann wild fluchend auf
mich und den Taxifahrer auf Türkisch einredet, ohne dass ich verstand, was hier
eigentlich los ist. Nach 5 min türkischen Schimpfwortgefechts läuft der Wutentbrannte
zur Rückseite des Taxis, lädt ohne mich zu fragen meinen Koffer aus und trägt ihn
davon. „Ich folge ihm einfach mal“, denke ich und renne meinem Gepäck
hinterher. Ich bin ein klein wenig erleichtert, dass ich sehe, dass er
ebenfalls ein Taxifahrer ist und ich bei ihm hätte einsteigen sollen (alle
Systeme haben ihre Ordnung). Nungut, neuer Taxifahrer, neues Glück. Doch natürlich
kann keiner der Anwesenden Englisch, geschweige denn Deutsch sprechen, und
natürlich habe ich nichts außer den Namen der Uni im Kopf. Keine Adresse, keine
Karte, keine Kontaktdaten. Stümperhaft versuche ich mich in Türkisch auszudrücken
und frage nach den vereinbarten 15 Lira für die Strecke. Darauf antwortet er
mit einem einfachen Kopfschütteln, zeigt auf den Taxometer und fährt los. Ich
glaube das nennt man Lehrgeld. 45 Lira (20 €).
Doch die Vorstellung, dass die Ankunft an Hacettepe
University die Probleme in Nichts auflösen würde, ist wiederrum nur ein
Phantasma meinerseits. Wir treffen auf einen türkischen Sicherheitsmann am
Eingang der Universität, der natürlich kein Englisch sprach und natürlich
meinen Namen nicht auf der Liste hatte. „No Benjamin“ vermittelt er mir. Doch
nach einigem Drängen in Anbetracht der Uhrzeit (4 Uhr morgens) lässt er uns
dann doch passieren. Die alleeartige Zufahrtstraße zur Uni zieht sich
Kilometerlang bis wir endlich die ersten Häuser sichten. Mein ungesprächiger
Taxifahrer lässt mich vor Ort bezahlen und jagt anschließend in die Nacht
davon. Ich aber stehe vor den nächsten Wachleuten, die, welch Wunder, ebenfalls
kein Englisch sprachen und ebenfalls meinen Namen nicht auf der Liste finden
können. Das scheint sich irgendwie hier durchzuziehen. „Bin ich überhaupt
richtig hier?“, beginne ich zu zweifeln. Die Wachleute machen auf jeden Fall nicht
den Anschein, als würden sie mir tatsächlich etwas erklären wollen, stattdessen
brabbelten sie mich auf Türkisch zu, obwohl ich mehrfach zu erkennen gebe, dass
ich nichts verstehe. Aber wenn ich eines gelernt habe, dann: Steter Tropfen
höhlt den Stein. Ich weiß zwar noch nicht, ob ich der Tropfen oder der Stein bin,
aber auf jeden Fall kommen die Wachleute zur Einsicht, dass ich erst einmal ein
paar Stunden Schlaf brauche. Sie lotsen mich in ein leeres Zimmer und versprachen
mir, dass wir bis zum nächsten Morgen eine Lösung für „mein Problem“ finden
können. Die für meine physische Befindlichkeit essentielle Nahrungsaufnahme an
Flüssigkeiten und Essbaren geriet bereits vor 7 Stunden in Stillstand, meine
Kehle dürstet nach chlorfreien Trinkbaren und mein Magen ist in den ersten
Zügen sich selbst zu verdauen (naja, ganz so schlimm war’s vielleicht noch nicht).
3 Stunden Schlaf. Das will ich mir gönnen, bevor ich mich auf die Jagd nach
Nahrung mache.
Tag 2
Verschlafen wanke ich durch die fremden Gänge, schon nach
wenigen Metern drehe ich mich um und weiß schon nicht mehr aus welchem Zimmer
ich gekommen bin. Dort vorne kann ich
bereits den Ausgang sehen. An der Stelle, wo ich vor einigen Stunden mit den
Wachleuten diskutiert habe, steht nun ein anderer Mann namens Arif, der mich
breit grinsend anschaut und über 10m Distanz ruft: „You got to be Benjamin!“
Noch bevor ich verstehe, was hier eigentlich los ist, find ich mich in seiner
Umarmung wieder. „You are so lucky that you meet me!“ Hä? Mit nicht wenig Stolz
erzählt er mir, dass er der einzige Wachmann ist, der Englisch spricht und dass
ab jetzt für mich alles besser wird, denn er wird mir immer und überall helfen.
Er sei mein neuer Schutzengel in Uniform. Aha. Nach einigen Lobeshymnen auf
mein Glück ihn zu treffen und etlichen „High Fives“ später, tritt eine Frau aus dem Hintergrund auf. „Your
name is Benjamin, right?“ Was ist denn hier los? Erst hat mich niemand auf der
Liste und nun kennt mich die ganze Uni? Es stellte sich heraus, dass sie, Elif,
die Leiterin des Sprachkurses ist und tatsächlich eine Liste hat, auf der mein
Name steht! Jetzt musste ich nur noch mit ihr umziehen, denn ich bin einfach im
falschen Haus gelandet. Völlig dehydriert zog ich meinen Koffer mit den kaputten
Rollen über ein Uni-Gelände, das mindestens(!) die Größe des Europapark Areals
hat. Bereits der marmorgefließte
Eingangsbereich am Informationsschalter und die Outdoor-Rolltreppe zur
Überwindung eines kleineren Hügels auf dem Gelände, ließen vermuten, dass das
hier nicht gerade eine Absteige sein wird, und auch mein neues (Einzel-)Zimmer
gleicht eher einem Hotelzimmer statt einer Studentenbude. Ja, hier lässt es
sich leben. Zentral auf diesem Gelände befinden sich in einem Komplex ein
Burger King, ein Café, ein Restaurant und ein Supermarkt. Nachdem ich in diesem
Café nach 15 Stunden endlich was essen
und trinken konnte, werde ich auch schon von den ersten Leuten
angesprochen: „Hey are you an Erasmus student? You want to join our table?“.
Und so lerne ich Simon (Deutscher), Despina (Griechin), Delik (Türkin), Damian
(Spanier), Joseph (Franzose mit britischem Akzent!), Kezem (aus dem Iran
ausgewanderter, türkischsprachiger Student) und Marie (Deutsche) kennen.
Einige Stunden und einige Thais später sind wir bereits
zusammen in die Innenstadt gefahren. Delik bildete dabei unsere Führerin und
zeigte uns, wo man Geldwechseln kann und welchen Bus wir nehmen müssen. In der
Absicht neue Handy-SIM-Karten zu kaufen, betraten wir den nächsten Handyladen,
was vom Ladenbesitzer erst einmal mit einer gratis Runde Cola für alle gefeiert
wurde. Ja, jedes gute Geschäft muss hier gefeiert werden. Das gehört so. Erst
später habe ich erfahren, dass unsere Führerin Delik selbst ihren Bus Richtung
Heimat verpasst hat, weil wir so langsam waren. Aber sie hat kein Wort gesagt.
Als ich sie darauf angesprochen habe, meinte sie nur: „Es war mir wichtiger,
dass ich euch helfe hier anzukommen. Ich denke, ich kann auch den Bus in 2,5
Stunden nehmen und hoffe, dass mein Ticket dafür auch gültig ist.“ Für uns als
Deutsche ist diese Gastfreundlichkeit und Aufopferungsbereitschaft
unvorstellbar, aber ich glaube, dass wird nicht das letzte Mal sein, wo wir von
Land und Leute positiv irritiert sind.
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