Freitag, 31. August 2012

Ankara Trip




Heute ist Trip-Day! Was das heißt? Jeden Freitag machen wir eine vom Sprachkurs geleitete Fahrt irgendwohin, um die Kultur zu entdecken. Das ganze wird voll und ganz bezahlt. Heute gehen wir nach Ankara und unser Plan ist vollgespickt mit Dingen, die wir erledigen wollen. Zu allererst das Atatürk Museum. Doch was braucht man dafür? Richtig: Ein Transportmittel. Und wo bekommt man so was? Auf der Straße. Also treffen wir uns doch einfach um 9:30 an der Straße oben. Aus 9:30 Uhr wird in türkischer Zeit automatisch 10 Uhr und da wir Erasmusstudenten sind, wird praktisch 10:30 Uhr daraus. Dumm nur, wenn man sich irgendwie an das deutsche Zeitkonzept gewöhnt hat und dann so ziemlich alleine (mit den anderen Deutschen) eine Stunde auf die anderen in der Sonne warten muss. Zu einem echten türkischen Ausflug gehört es sich übrigens auch, dass der extra bestellte Bus in türkischer Zeit erscheint. Also nicht wie ausgemacht um 9:45, sondern 10:45 – aber wir haben uns ja mittlerweile an das Warten gewöhnt. Es ist also 11 Uhr und das nicht mehr für möglich gehaltene passiert: Wir fahren los!
Der gnädige türkischer Soldat
Erster Stopp: Atatürk Mausoleum. Wir hetzen wie Gejagte 30 min lang durch die riesigen Hallen, während wir akustisch von Gewehrsalven und Kanonenschüssen aus Lautsprechern bombardiert werden, die das Gefühl vermitteln sollen wie dieser Unabhängigkeitskrieg war und wie Mustafa Kemal Atatürk die türkischen Truppen zum Sieg führte. Was ein Pathos! Voller Inbrunst wird hier „Geschichte“ vermittelt: Wie böse diese fiesen Griechen waren, was sie für Massaker angerichtet haben und wie heldenhaft die türkischen Truppen waren, die in knapper Unzahl, durch ihren Mut die Griechen zurück geworfen haben. Ein 3D Gemälde (Bilder an der Wand und davor Kriegsmaterialien wie Kanonen, sodass man sich fühlt, als wäre man mittendrin) zeigen aber nicht nur die Superiorität der Türken, nein – hier wird auch gezeigt, dass der Türke an sich ein ganz lieber Mensch ist, sozusagen die Mutter Theresa unter den Soldaten. Ein Bild zeigt zum Beispiel wie ein türkischer Soldat seinem im Sterben liegenden Feind einen Schluck Wasser reicht. Ach, wie romantisch.
Unser Tourguide erzählt dazu: „Hier sieht man, dass die türkischen Truppen keine bösen Menschen waren. Wir sind stark, aber hilfsbereit (mercyful). Wir haben Waffen, aber wir würden sie nie zum Angriff einsetzen. Wir sind ein friedliches Volk“. „Alles klar. Genug brainwashing“, denke ich und laufe zum nächsten Bild auf dem ich entsetzt feststellen muss, wie die Griechen als kaltblütige Massakrier dargestellt werden (sie töten am Boden liegende türkische Soldaten mit dem Bajonett). Das schlimme an diesem Ort ist, dass es als Wahrheit verkauft wird. Hier wird nationales Gedächtnis geprägt, hier wird definiert wie es früher war und wer der Feind ist/war. Menschen, die sich damit nicht kritisch auseinander setzen saugen das hier auf, gehen dann stolz zu Militärparaden, kaufen sich Waffen und töten damit ausversehen Unbeteiligte.

Ja, tatsächlich! Der Türke an sich hat ein „kleines Problem“ mit seinem besten Freund der Waffe. Von 2009 bis 2011 sind in der Türkei 2163 Menschen an verirrten Kugeln gestorben. Es ist hier Brauch, wenn man sich freut einfach zu seinem Gewehr im Schrank zu greifen und wahllos in den Himmel zu feuern.
Und wenn man vor lauter Freudentaumel (weil zum Beispiel Fenerbahce gegen Galatasaray gewinnt) einfach nicht mehr den Himmel trifft, dann kann es manchmal auch passieren, dass die Kugel dem gegenüberliegenden Nachbar in den Kopf fährt. Die türkische „Bildzeitung“ titelte dazu vor einigen Jahren: „Die Türken müssen lernen sich zu freuen, ohne dabei Menschen zu töten“. Ja, solche Probleme gibt es. 
Der Türke wird also als Soldat geboren. Soviel steht fest. Man muss aber auch beachten, dass die türkische Kultur schon seit jeher positive Assoziationen mit dem Militär hat: Atatürk selbst war Offizier. Er schaffte es die griechische Besatzung Istanbuls zu beenden und etablierte im Militär eine treue Institution, die für seine Werte von Demokratie und Säkularisierung einstehen sollten. Viermal kam es seitdem bereits dazu, dass eine Regierung vom Militär gestürzt wurde, weil sie den Offizieren nicht gepasst hatte. Viermal! Das Militär als Institution mit Werten – das ist für uns Deutsche nicht denkbar. Der Türke und seine Waffe - das ist und bleibt vermutlich eine untrennbare Entität.
Nächster Stopp: Anatolisches Landesmuseum. Ähm… ja... gibt spannenderes. Nächster Stopp! Ankara Burg. Nach einem steilen Anstieg auf einer dieser gefühlt 10.000 Hügel thront in bescheidener Höhe die „Ankara Burg“. Schweißperlen auf unserer Stirn suchen langsam ihren Weg nach unten, während wir immer noch dabei sind die endlos hohen Stufen zu erklimmen. Doch es lohnt sich! Was ein Ausblick! Was eine gigantische, niemals endende Stadt. Rund um uns herum nur Häuser, Häuser, Häuser. Man muss dazu sagen, dass Ankara so gut wie keine Hochhäuser hat und deswegen der Ausblick noch imposanter erscheint. Und dann, pünktlich um 16:00 Uhr beginnt der Imam zum Gebet zu rufen. Aus hunderten von Lautsprechern ertönt gleichzeitig der melodisch-hypnotische Gesang, der mich zugleich ergreift und die Stadt verstummen lässt. All der Straßenlärm, all das Gehupe, alles wird verschluckt und erstickt von einer einzigen Stimme, die lauter nicht sein könnte. Eine ganze Millionenstadt verstummt. Es ist so unglaublich imposant und sicherlich einer der eindrucksvollsten Momente, die ich in meinem Leben erlebt habe.

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