„Drei, zwei, eins – letzte Chance – VORBEI!“ Mit solchen
Kindersendungen, in denen es um Entscheidungsfindungen geht, werden wir
sozialisiert. Doch scheint das nicht in allen Kulturen gleich bedeutend zu
sein. Offensichtlich wird das in der Benutzung des türkischen Straßenverkehrs.
Warum sich für eine Spur entscheiden, wenn man doch beide haben kann? Für den
kleinen Adrenalin- und Kulturschock muss man einfach in einen Dolmus steigen.
Die Fahrt mit dem Minibustaxi namens Dolmus ist ein Erlebnis
für sich. Ich steige ein in der Hoffnung, dass ich überhaupt den richtigen Bus
erwischt habe und er uns auch (sicher) ans Ziel bringt, werde durch den Gang geschoben, doch bleibe ziemlich direkt hinter der Frontschutzscheibe stehen, weil
der Bus überfüllt ist. Bezahlt wird hier erst, wenn man an seinem Platz ist.
Dann wird das Geld von hinten nach vorne über fremde Hände durchgereicht. Das
erinnert alles ein wenig an das Kinderspiel Flüsterpost. „Zwei Personen Kizilay“ flüstert mir ein Mann
ins Ohr und schüttet ein Haufen Münzgeld in meiner Hand aus. Ich krame meine eigenen
1.75 Lira für die Fahrt heraus, versuche mich an seine türkischen Worte zu erinnern
und gebe es den Vordermann weiter und sage: „3 Personen Kizilay“. Während sich
der Busfahrer durch die Gassen von Ankara manövriert, prüft er die Münzen
schnell mit einem kurzen Blick und gibt das passende Restgeld zurück. Das
wiederrum wandert jetzt zurück, sodass sich jeder das seinige herausnehmen
kann. Irgendwie witzig, dass das funktioniert.
Plötzlich hebt der Busfahrer seine rechte Hand hoch.
„Polis!“, ruft er und sofort ducken sich alle im Gang stehenden Fahrgäste.
Alle, bis auf die Deutschen natürlich. Die haben natürlich nichts kapiert
stehen ahnungslos im Gang und werden schließlich von den anderen Türken auf den
Boden gedrückt. „Duckt euch!“ flüstert mir eine fremde Frau ins Ohr. Ich schaue
aus dem Fenster und suche nach der Gefahrenquelle. Ich erwarte Militärautos,
ein Sonderkommando oder gar einen Panzer und entdecke nur einen einzelnen
Sicherheitsmann am Tor eines Verwaltungsgebäudes. „Und deswegen diese Hektik?“,
denke ich mir und stehe wieder auf, nachdem die anderen auch sichtlich entspannter
wirken.
Wir schlenkern weiter durch den wilden Straßenverkehr,
fahren an Bushaltestellen mit einem Hupkonzert vorbei und halten dann einfach
mitten auf der Straße, wenn sich an der Haltestelle doch jemand die Hand hebt
und sich noch in den längst überfüllten Bus quetschen will. Witziger Weise gibt
es sogar auf den Schnellstraßen Fahrbahnmarkierungen (in der Innenstadt hat man
das vermutlich bereits aufgegeben, zumindest habe ich noch keine gefunden),
doch daran hält sich einfach keiner. Fahrbahnmarkierungen haben hier eher einen
dekorativen Mehrzweck.
Straßenbeleuchtung Ankara |
In Sachen Dekoration lässt sich hier auch übrigens einiges
Irritierendes finden: Letzte Woche war ja ein großer türkischer Feiertrag (ich
schrieb bereits über die Militärparaden). In der ganzen Stadt waren gigantisch
große Fahnen aufgehängt. Jedes zweite Hochhaus hatte eine ca. 30 Meter große
Fahne an der Fassade herunterhängen. Doch auch die Innenstadt wurde
herausgeputzt. Wenn etwas gefeiert werden muss, dann muss es blinken, glitzern
und leuchten. „Ah, da haben wir ja noch was“ wird sich der Türke gedacht haben
und lässt Leuchtgirlanden aufhängen, die schweeer an christliche
Weihnachtsbeleuchtung erinnern lassen. Ja warum nicht. In Europa gibt’s die
Schokoweihnachtsmänner ja auch schon im Oktober – also warum nicht in einem
muslimisch geprägten Land im September Weihnachtsbeleuchtung aufhängen? Ist
doch romantisch! Vielleicht bin ich aber auch zu sehr durch die europäische
Kultur geprägt, vielleicht konnotiere ich die leuchtende Straßenornamente
einfach nur mit „Weihnachten“. Schaut euch das Bild an und urteilt selbst.
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