Einige Dinge sind noch abzuarbeiten auf meiner To-See Liste.
Das Semester hat sein Ende erreicht, jetzt ist endlich Zeit die Dinge zu
adressieren, die während des Semesters nach hinten gestellt wurden. Um 13:30
Uhr schreibe ich eine schwedische Gleichgesinnte Malin an, die genau so wie ich ihre letzten Tage nochmal die Stadt erkunden will: „Hey, bin gerade
aufgestanden. Was machst du heute? Stadtmauern schon gesehen?“ – „Auch gerade
am nüchtern werden. Bin dabei! Sagen wir 45 min an der Tram-Station?“. Und so
stehen wir türkische 45 min später an der Haltestelle und gondeln 1 Stunde bis
zu den Außenbezirken Istanbuls.
Und so finden wir uns als einzige Touristen an einem
Trümmerfeld der Geschichte wieder. An den Blicken der Menschen spüren wir, dass
wir hier nicht gerade willkommen sind. Eine Gruppe von Jungs, die meterhohen
Mauerbruchstücke als Spielplatz auserkoren haben, rufen und pfeifen uns
hinterher, um unsere Aufmerksamkeit zu bekommen. Ein paar Meter weiter versuchen
wir selbst die Mauern zu erklimmen, bis uns ein Mann von oben zuruft, dass das
hier kein Weg ist. Wir sollen doch bitte mit ihm kommen, grinst er uns an, sodass
uns beiden irgendwie unheimlich zu Mute wird. „Nein Danke. Wir finden einen
anderen Weg.“ So umschleichen wir Mauerstück für Mauerstück und suchen nach
einer erklimmbaren Stelle.
Wir passieren einen älteren Mann, dem wir auf den
ersten Augenblick keine große Beachtung schenken. Doch scheinbar haben wir so
eben sein Territorium betreten. Er tritt unter seiner Plastikplane, die er über
einige Mauersteine gehängt hat, hervor und schreitet auf seinen Einkaufswagen,
indem sich ein paar Flaschen und Decken befinden, zu. Das Mauerstück betrachtend erkennen wir bald, dass
auch hier kein Aufstieg möglich sein wird, drehen uns also um und wollen
zurückgehen, als der gelbbärtige Mann mit der schiefsitzenden Mütze und der
ausgefransten Hose eine Waffe aus seinem Einkaufswagen hervorholt. Ganz auf
seine Pistole fixiert, bemerkt er unser erneutes Vorbeilaufen nicht, während
uns langsam dämmert in was für einer Gefahr wir gerade womöglich sind. „Ist das
eine…?“ flüstert mir Malin ins Ohr und ergreift meinen Arm. „…eine Pistole. Ja
verdammt. Fuck, wo sind wir hier?“. Der Herzschlag ist nun bis zum Hals
spürbar, Adrenalin durchflutet unsere Körper und bildet einen seltsamen
chemischen Cocktail aus Aufregung und Todesangst, während hinter uns das
Klicken einer entsicherten Waffe hörbar ist. „Schnell! Dort vorne sind
Menschen!“. Wir springen über die letzten Matschpfützen hinüber und wähnen uns
bei den nächsten zwielichtigen Menschen, die um eine brennende Mülltonne stehen,
erstmals in Sicherheit. „Vielleicht war das doch keine so gute Idee hier.“ Mit etwas zitternden Beinen beschließen wir
die Rückreise wieder anzutreten. Genug gesehen für heute.
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