Montag, 28. Januar 2013

Reflexive Reflektionen


In Sitzen eingepfercht, in denen nicht mal meine Beine im angewinkelten Zustand hineinpassen, fahre ich mittlerweile in Bussen durch die Schwarzmeerküste und frage mich, was eigentlich aus Istanbul bleibt.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Stadt auch ohne mich überleben wird, aber kann ich ohne sie überleben? Ich vermisse jetzt schon die komische verrückte, ältere Frau an unserer Straße. Täglich war sie dort in den gleichen Klamotten anzutreffen wie sie zitternd vor innerer Unruhe sich eine Zigarette anzündete und Sekunden danach diese schon wieder vergas, sodass sie im nächsten Augenblick überrascht auf ihre brennende Zigarette schaut und sich freudig wundert, wo diese gerade her kommt. Sie ist bekannt dafür, dass sie die Straße hoch oder wahlweise runter läuft und in jedem Geschäft persönlich vorbei schaut und nach dem Rechten sieht. Die Ladenbesitzer nehmen ihre etwas eigene Art gelassen. „Jaja, Tantchen, alles gut. Jetzt geh aber wieder. Ich hab Kunden“ wird sie freundlich aber bestimmend nach draußen begleitet. Für jugendliche Ladenhüter wird sie oftmals zum Spielball kindlicher Blödeleien. Einmal war ich Zeuge wie ein junger Mann aus Spaß ihre Tasche vom Boden nahm, sich auf einen Roller setzte und einen Diebstahl vortäuschte, nur um zu sehen wie die alte, verwirrte Frau ihrem einzigem Besitz hinterher  rennt. Einmal im Kreis gefahren, gab er sie grinsend zurück. Er war sichtlich der Einzige, der daran Spaß hatte.
Genauso erinnere ich mich an die 3 Männer auf der anderen Seite der Straße. Ihre ganztägliche Anwesenheit war so sicher wie das Aufgehen der Sonne. Es gab in 123 Tagen in Istanbul gab es keinen Tag, an dem ich sie nicht gesehen habe. Mal drinnen, mal draußen, wartend, rauchend, beobachtend sitzen sie auf ihren Posten aus Plastik und lassen das Leben an sich vorbeirauschen. Echte Istanbuler eben.
Bei all den Erinnerungen frage ich mich wie diese Leute mich in Erinnerung behalten. Nur wenigen meiner Straßenfreunde habe ich tatsächlich Auf Wiedersehen gesagt. Was wird wohl mein Straßenfrisör sagen, bei dem ich alle 3 Wochen war und jeden Tag aufregt aus seinem Schaufenster mir zuwinkt. Und der Bäcker, der jeden Tag mehr begeistert war, dass ein Fremder so gut türkisch sprechen kann und mir zum immer eine Kleinigkeit schenkte. Oder der 60-jährige Cigköfte Verkäufer, bei dem es immer so aussah als sei ich sein einziger Kunde. Und was wird wohl mein Freund aus meinem Lieblings-Reishaus denken, wenn ich nicht mehr wie jeden Tag vorbei komme, um mit ihm ein paar nette Worte zu wechseln?  Werden sie von meiner Abwesenheit Notiz nehmen? Werden sie mich vermissen so wie ich sie vermissen werde?
Wie werden sie mich in Erinnerung halten? Vielleicht als den seltsamen Fremden, den immer durch die Straßen zog, manchmal plötzlich stehen blieb, sich umdrehte als wäre ihm gerade eingefallen, was er Zuhause vergessen hatte, als den Fremden, der es pflegte von seinem Hügel, auf dem seine Wohnung gelegen war, herunterzurennen und denselben in einem alltäglichen Wettlauf mit sich selbst diesen unnachvollziehbarerweise auch wieder hoch rannte. Jener Fremde, der in seiner Straße ausschließlich türkisch sprach, auch wenn das bedeuten konnte, dass er vieles nicht verstand und deswegen zu einigen komplizierten Fragen einfach immer nur mit „ok“ antwortete.
Vielleicht halten sie mich als Solchen in Erinnerung. Vielleicht aber auch nicht.

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