In Sitzen eingepfercht, in denen nicht mal meine Beine im
angewinkelten Zustand hineinpassen, fahre ich mittlerweile in Bussen durch die
Schwarzmeerküste und frage mich, was eigentlich aus Istanbul bleibt.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Stadt auch ohne mich
überleben wird, aber kann ich ohne sie überleben? Ich vermisse jetzt schon die
komische verrückte, ältere Frau an unserer Straße. Täglich war sie dort in den
gleichen Klamotten anzutreffen wie sie zitternd vor innerer Unruhe sich eine
Zigarette anzündete und Sekunden danach diese schon wieder vergas, sodass sie
im nächsten Augenblick überrascht auf ihre brennende Zigarette schaut und sich
freudig wundert, wo diese gerade her kommt. Sie ist bekannt dafür, dass sie die
Straße hoch oder wahlweise runter läuft und in jedem Geschäft persönlich vorbei
schaut und nach dem Rechten sieht. Die Ladenbesitzer nehmen ihre etwas eigene
Art gelassen. „Jaja, Tantchen, alles gut. Jetzt geh aber wieder. Ich hab
Kunden“ wird sie freundlich aber bestimmend nach draußen begleitet. Für jugendliche
Ladenhüter wird sie oftmals zum Spielball kindlicher Blödeleien. Einmal war ich
Zeuge wie ein junger Mann aus Spaß ihre Tasche vom Boden nahm, sich auf einen
Roller setzte und einen Diebstahl vortäuschte, nur um zu sehen wie die alte,
verwirrte Frau ihrem einzigem Besitz hinterher
rennt. Einmal im Kreis gefahren, gab er sie grinsend zurück. Er war sichtlich
der Einzige, der daran Spaß hatte.
Genauso erinnere ich mich an die 3 Männer auf der anderen
Seite der Straße. Ihre ganztägliche Anwesenheit war so sicher wie das Aufgehen
der Sonne. Es gab in 123 Tagen in Istanbul gab es keinen Tag, an dem ich sie nicht
gesehen habe. Mal drinnen, mal draußen, wartend, rauchend, beobachtend sitzen
sie auf ihren Posten aus Plastik und lassen das Leben an sich vorbeirauschen.
Echte Istanbuler eben.
Bei all den Erinnerungen frage ich mich wie diese Leute mich
in Erinnerung behalten. Nur wenigen meiner Straßenfreunde habe ich tatsächlich
Auf Wiedersehen gesagt. Was wird wohl mein Straßenfrisör sagen, bei dem ich
alle 3 Wochen war und jeden Tag aufregt aus seinem Schaufenster mir zuwinkt. Und
der Bäcker, der jeden Tag mehr begeistert war, dass ein Fremder so gut türkisch
sprechen kann und mir zum immer eine Kleinigkeit schenkte. Oder der 60-jährige
Cigköfte Verkäufer, bei dem es immer so aussah als sei ich sein einziger Kunde.
Und was wird wohl mein Freund aus meinem Lieblings-Reishaus denken, wenn ich
nicht mehr wie jeden Tag vorbei komme, um mit ihm ein paar nette Worte zu
wechseln? Werden sie von meiner
Abwesenheit Notiz nehmen? Werden sie mich vermissen so wie ich sie vermissen
werde?
Wie werden sie mich in Erinnerung halten? Vielleicht als den
seltsamen Fremden, den immer durch die Straßen zog, manchmal plötzlich stehen
blieb, sich umdrehte als wäre ihm gerade eingefallen, was er Zuhause vergessen
hatte, als den Fremden, der es pflegte von seinem Hügel, auf dem seine Wohnung
gelegen war, herunterzurennen und denselben in einem alltäglichen Wettlauf mit
sich selbst diesen unnachvollziehbarerweise auch wieder hoch rannte. Jener
Fremde, der in seiner Straße ausschließlich türkisch sprach, auch wenn das
bedeuten konnte, dass er vieles nicht verstand und deswegen zu einigen
komplizierten Fragen einfach immer nur mit „ok“ antwortete.
Vielleicht halten sie mich als Solchen in Erinnerung.
Vielleicht aber auch nicht.
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