Etwas in Eile stürme ich in Richtung Haupteingangstor meiner
Universität. Ich bin mal wieder zu spät nach deutscher Zeit - aber in türkischer Zeitrechnung eigentlich ziemlich pünktlich. Mit großen Schritten will ich dennoch ein wenig Zeit gut machen, um noch was Essen zu können.
Ein (kleiner) Teil der Schutzmänner |
Aus dem Augenwinkel nehme ich gerade noch wahr, dass hier
irgendetwas anders ist, bevor ich mit voller Wucht frontal auf die dicke
Schutzpanzerung eines Polizeibeamten treffe, der sich mir demonstrativ in den
Weg gestellt hat. Aua. Während ich zurückschwinge, wirft er mir einen grimmigen Blick
zu und spricht: „Ausweis!“. Ich bin verwirrt. Was ist denn jetzt passiert? Das
war doch sonst hier kein Problem? Ich komme hier doch auch so immer rein? Ich
schaue an seiner Schulter vorbei und erblicke sehnsüchtig das sonst immer zuverlässig funktionierende Drehkreuz, das anscheinend deaktiviert wurde. „Ausweis!
Wo ist dein Ausweis!“ ruft er abermals, während ein weiterer Mann mit Maschinengewehr
langsam auf uns zuschreitet. Als ich ihn erblicke, erkenne ich auch
gleichzeitig, dass hinter der nächsten Ecke ein ganzer Panzerwagen voller
Polizisten steht wie man sie aus Deutschland sonst nur aus dem TV bei
Ausschreitungen am Ersten Mai kennt. Mit Schutzschildern und Helm ausgestattet
stehen sie in Formation als würden sie auf ein Signal des Mannes warten, der
mit seiner um den Hals hängenden mp-5 Waffe langsam näher kommt. Mein Zögern
macht mich wohl verdächtig.
Stammelnd zeige ich auf irgendeinen meiner Ausweise in
meinem Geldbeutel. „Das ist nicht das, was ich will“ faucht er und greift sich
mein Geldbeutel bis er glücklicherweise das findet, was er will. „Sie studieren
ja hier!? Sagen Sie das doch gleich!“. Ja, das nächste Mal, wenn mir unerwarteter
Weise ein Mann mit Waffe gegenübersteht und meinen Ausweis sehen will, dann
werde ich sagen: 'Ich studiere hier.' Versprochen. „Weitergehen!“, er bewegt sich
wie eine Felswand zur Seite und winkt mich in alter Straßenverkehrspolizistenmanier
bestimmend weiter. Endlich passiere ich zwischen dem Wasserwerfermobil und der
aufgestellten Kampfformation an Polizisten das mir einst so bekannte
Universitätstor. Was zur Hölle ist denn passiert, das diesen Aufmarsch an bewaffneter
Polizei rechtfertigt? Ist es wegen den reißerischen Plakaten, der kommunistischen
Studentengruppe, die bezüglich der Stationierung deutscher Nato Soldaten an der Türkisch-Syrischen Grenze kritische
Plakate (Obama, Merkel und Holland vor einer Naziflagge) an der Uni aufhängen
lies? Nein, die Kommunisten waren schon immer so. Das ist nichts Neues. Aber was ist es dann?
Bild der Ausschreitungen zw. Polizei und Protestlern (Zeitung) |
Alles hat vor ca. 2 Wochen mit der Einweihungsfeier des
Göktürk-2 Satelliten begonnen. Premierminister Tayyip Erdogan wurde in die
Technische Universität Ankara (ODTÜ) eingeladen, um dort voller Stolz zu
verkünden, dass die Türkei durch die Entwicklung dieses Satelliten zu den 10
Nationen der Welt aufsteigt, die technisch zu so einer Ingenieursleistung fähig
sind. Doch dabei traf er auch auf einige Studenten, die die Ankunft des
Premierministers zum Anlass nahmen, sich über die fortschreitende Privatisierung der Hochschullandschaft zu beklagen. Mehr als 3000 Polizisten mussten beordert
werden, um die Sicherheit des obersten Mannes zu garantieren, denn sie sollten
dort auf „mit Steinen und Molotowcocktails bewaffnete Studenten und Angehörige
verbotener Organisationen“ (O-Ton der Regierung) treffen. Der Protest der 700
Anwesenden wurde mit Gummigeschossen, Wasserwerfen und Gaskanonen buchstäblich
niedergeprügelt. Und weil jegliche Form von Opposition in Regierungskreisen als
nicht tolerierbar empfunden wird, erging am selben Tag noch die Mahnung
Erdogans an der Rektor dieser Universität: „Wenn sie solche Studenten erziehen,
dann sollten sie sich schämen!“. Ein Statement, das lediglich von Staatspräsident
Abdullah Gül getoppt werden konnte, der von sich gab, dass „der Wissenschaftsbereich
sich zukünftig aus solchen politischen Dingen rauszuhalten hat“.
Der nächste Tag brachte landesweit verschiedene Studentenbewegungen
hervor. Viele akademische Stimmen wollen darauf auf aufmerksam machen,
dass die von den Medien betitelten „gewalterfüllten Proteste“ keinesfalls die
Wirklichkeit spiegelten und im gleichen Atemzug die Freilassung der etlichen inhaftierten
Studenten fordern. Dagegen unterzeichneten 7 Universitäten eine Kampagne, die den Protestierenden vorwirft, die Feierlichkeiten zerstört haben zu wollen und behaupten, dass diese Bewegung keine reine studentische gewesen sei, sondern von einer politischen Opposition angezettelt worden sein müsse.
Doch die verschiedenen Repressionen haben wenig geholfen. Das Feuer nimmt seinen Lauf. In ihren Forderungen absolut verschieden, doch in ihrer Abneigung gegenüber der Regierung geeint, entstehen immer mehr politische Bewegungen in akademischen Kreisen. An zwei Istanbuler
Universitäten sind ähnliche regierungskritische Proteste ausgebrochen, die anscheinend eines Polizeieinsatzes bedurften. Und nun
vielleicht auch die Yildiz? Meine Yildiz Universität? Nein, nein – die ca. 150 bewaffneten Soldaten, die zwei
Panzerwägen und die Wasserkanone, die unsere Universität belagern, werden
uns schützen. Dafür sind sie ja da. Sind sie doch, oder?