„Benjamin, … ich muss dich heute sprechen. Können wir uns
nachher sehen?“ flüstert Boahc am anderen Ende unserer Telefonleitung. In
seiner Stimme liegt eine bedrückende Schwere und ich ahne nichts Gutes, als ich
sofort meinen Weg in das 1.5 Stunden entfernte Stadtzentrum aufnehme. Dabei sah
doch alles vor zwei Tagen so gut aus? Er hat endlich ein Jobangebot bekommen.
Ein alter Geschäftspartner hat ihn gebucht, um in Istanbul Geschäfte mit einem türkischen
Unternehmen abzuschließen. Er sollte 2 Tage lang Dolmetscher und
Verhandlungsberater sein. Und das alles mit seinem gewohnten Stundenlohn von 30
€ die Stunde. Ein Geldsegen, den er wirklich braucht und sich wirklich verdient
hat.
Im vereinbarten Cafe angekommen erkenne ich ihn kaum wieder.
Es kommt mir so vor als hätte er in den letzten 3 Tagen neue Falten bekommen,
seine Tränensäcke sind sichtbar angeschwollen und seine Körperhaltung deutet auf
eine schlimme Geschichte hin. Ich setze mich wortlos zu ihm und spüre wie mein
Gegenüber die Worte sammelt, mit denen er sich die letzten Stunden seit unserem
Telefonat beschäftigt hat. Sein Blick Richtung des leeren Tisches gerichtet,
spricht er: „Benjamin, wie gut kennst du
mich?“ „Ich denke, ich kenne dich mittlerweile sehr gut. Was ist denn passiert?“
„Ich, ich weiß nicht wo ich anfangen soll. Ich finde, ich habe das alles nicht
verdient: Erst der Kniebruch als mich ein Taxi angefahren hat, dann ist mir
mein Bein abgebrannt als mein Gips in der Nacht durch einen Heizstrahler Feuer
gefangen hat, dann 1 Jahr lang im Bett gelegen, arbeitslos, Möbel verkauft,
Laptop verkauft, Wohnung verkauft, kämpfend, kämpfend, kämpfend – und jetzt,
Benjamin, bin ich obdachlos.“ Ich verstehe noch nicht ganz und lasse ihn weiter
sprechen. „Bin ich denn so ein schlechter Mensch? Ich glaube nicht. Du kennst
mich!“, wiederholt er selbst versichernd. „Ich finde, ich habe das nicht
verdient. Ich bin kein böser Mensch, das weißt du!“, spricht er in einem
trotzigen Ton, der wohl gegen sein Schicksal und nicht gegen mich gerichtet ist.
Endlich beginnt er zu erzählen, was denn eigentlich passiert ist: „Vorgestern
und gestern habe ich den ganzen Tag gearbeitet. Das Geschäft wurde erfolgreich
abgeschlossen und ich bekam meine vollen Spesen. Ich war so glücklich, so
glücklich. Ich zog meinen Anzug, den ich mir von deinem Geld gekauft habe, Zuhause
wieder aus, und habe ihn sorgfältig wieder in den Schrank gehängt. Das ganze
Geld habe ich daraufhin in meine Schrank geschlossen und nur 20€ rausgenommen.
Zur Feier des Tages wollte ich in ein Kebabhaus. Endlich mal Essen gehen.
Endlich mal keine Niete mehr sein. Und…“ eine Träne läuft ihm von der Wange als
er nach Worten für das Folgende sucht, „…und dann komme ich nach Hause und das
Haus ist abgebrannt.“ Ich schlucke, mein Atem wird flach und sein Entsetzen
geht in mein Gefühl von Fassungslosigkeit über. „Das ganze Haus ist abgebrannt.
Es war ein altes Holzhaus und irgendjemand muss einen Heizstrahler
umgeschmissen haben, oder einen Kurzschluss oder irgend so etwas. Die ganze
Straße war voller Menschen. Alle schauten auf die Trümmer. Die Trümmer meiner
Existenz. Alles ist weg. Verbrannt.“
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich habe nicht mal mehr eine Unterhose mehr…“ flüstert er fast in einem längst resignierenden Ton, in dem er sich über sich selbst lustig macht. „Benjamin, ich hab’s so satt. Ich kann nicht mehr. Das hier wird das letzte Mal sein, wo wir uns treffen. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich, ich, ich will einfach nicht mehr kämpfen. Man muss auch erkennen, wann es ein Ende hat. Und dieser Punkt ist jetzt erreicht.“ Langsam realisiere ich, was in ihm gerade vorgeht. Und genau das macht mir ein wenig Angst. „Weißt du, ich habe alles verloren. Alles. So banal diese Sachen für dich erscheinen mögen, all die Möbel und wertlosen Dinge, sie waren für mich alles, was ich hatte: der Pullover, den du mir geschenkt hast – wie lieb habe ich ihn gewonnen. Er war so weich und gab so warm. All die Bilder von meiner Mutter, aber vor allem die Briefe, die Briefe von meiner Tochter… Das ist alles so lange her, aber sie gaben mir Kraft. Jeden Tag, wenn es mir moralisch nicht gut ging, las ich diese Briefe und sie gaben mir Kraft. Doch jetzt ist alles fort. Aber ich wollte nicht gehen, bevor ich es dir nicht erzählt habe. Ich wollte dich sehen. Ein letztes Mal nicht davon laufen, ein letztes Mal Kämpfen und dir Danke sagen. Danke für das, was du getan hast. Leider kann ich dir das alles, das Geld und deine Unterstützung nicht zurückzahlen. Aber ich will dennoch, dass du mich in guter Erinnerung hältst. Deswegen wollte ich dich nochmals sehen.“ Ein kalter Schauer geht mir über den Rücken. Ist das ein Abschiedsgespräch? Ist er dabei sein Leben aufzugeben? Mir wird schwindelig und ich weiß nicht, ob ich dieser Verantwortung des Gesprächs gewachsen bin. Wie kann man jemanden, der so nah am Abgrund steht noch zurückhalten und wieder Hoffnung schenken? Vielleicht durch klare Worte: „Ich lasse nicht zu, dass du hier aufgibst. Ich kann verstehen, dass du nach all dem nicht mehr an dich glauben willst, aber dann lass wenigstens mich an dich glauben! Ich werde dich unterstützen! Bedingungslos! Wir werden einen Weg finden. Ein weiteres Mal. Und es wird weitergehen. Du hättest schon gestern dein Handy ausschalten können, hättest weglaufen können, hättest was-weiß-ich machen können – stattdessen hast du mich angerufen, stattdessen sitzen wir hier und du teilst mir deine Geschichte mit. Das ist nicht die Stelle, an der ich sage: ‚Ok, und tschüss‘, das ist die Stelle an der ich sage ‚Ok, und jetzt erst recht!‘. Und tief im Inneren weißt du das auch.“
Von meiner Entschlossenheit berührt, erkenne ich, dass seine eiserne Miene langsam auftaut.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. „Ich habe nicht mal mehr eine Unterhose mehr…“ flüstert er fast in einem längst resignierenden Ton, in dem er sich über sich selbst lustig macht. „Benjamin, ich hab’s so satt. Ich kann nicht mehr. Das hier wird das letzte Mal sein, wo wir uns treffen. Ich kann nicht mehr kämpfen. Ich, ich, ich will einfach nicht mehr kämpfen. Man muss auch erkennen, wann es ein Ende hat. Und dieser Punkt ist jetzt erreicht.“ Langsam realisiere ich, was in ihm gerade vorgeht. Und genau das macht mir ein wenig Angst. „Weißt du, ich habe alles verloren. Alles. So banal diese Sachen für dich erscheinen mögen, all die Möbel und wertlosen Dinge, sie waren für mich alles, was ich hatte: der Pullover, den du mir geschenkt hast – wie lieb habe ich ihn gewonnen. Er war so weich und gab so warm. All die Bilder von meiner Mutter, aber vor allem die Briefe, die Briefe von meiner Tochter… Das ist alles so lange her, aber sie gaben mir Kraft. Jeden Tag, wenn es mir moralisch nicht gut ging, las ich diese Briefe und sie gaben mir Kraft. Doch jetzt ist alles fort. Aber ich wollte nicht gehen, bevor ich es dir nicht erzählt habe. Ich wollte dich sehen. Ein letztes Mal nicht davon laufen, ein letztes Mal Kämpfen und dir Danke sagen. Danke für das, was du getan hast. Leider kann ich dir das alles, das Geld und deine Unterstützung nicht zurückzahlen. Aber ich will dennoch, dass du mich in guter Erinnerung hältst. Deswegen wollte ich dich nochmals sehen.“ Ein kalter Schauer geht mir über den Rücken. Ist das ein Abschiedsgespräch? Ist er dabei sein Leben aufzugeben? Mir wird schwindelig und ich weiß nicht, ob ich dieser Verantwortung des Gesprächs gewachsen bin. Wie kann man jemanden, der so nah am Abgrund steht noch zurückhalten und wieder Hoffnung schenken? Vielleicht durch klare Worte: „Ich lasse nicht zu, dass du hier aufgibst. Ich kann verstehen, dass du nach all dem nicht mehr an dich glauben willst, aber dann lass wenigstens mich an dich glauben! Ich werde dich unterstützen! Bedingungslos! Wir werden einen Weg finden. Ein weiteres Mal. Und es wird weitergehen. Du hättest schon gestern dein Handy ausschalten können, hättest weglaufen können, hättest was-weiß-ich machen können – stattdessen hast du mich angerufen, stattdessen sitzen wir hier und du teilst mir deine Geschichte mit. Das ist nicht die Stelle, an der ich sage: ‚Ok, und tschüss‘, das ist die Stelle an der ich sage ‚Ok, und jetzt erst recht!‘. Und tief im Inneren weißt du das auch.“
Von meiner Entschlossenheit berührt, erkenne ich, dass seine eiserne Miene langsam auftaut.
„Aber ich weiß auch,
dass du Student bist. Wie oft habe ich dich schon um Hilfe bitten müssen? Du
hast mir 200€ für einen Anzug geliehen, der zusammen mit meinem Gehalt, mit dem
ich es dir zurückgezahlt hätte, in meiner Wohnung verbrannt ist. Zusätzlich
habe ich für Miete und Lebensunterhalt immer wieder Geld von dir vorgestreckt
bekommen. Also insgesamt schulde ich dir vielleicht 400-500€! Ich habe NICHTS
mehr, absolut nichts mehr und du bist kein – wie sagt man auf Deutsch? –
Dukatenscheißer! Du bist Student und hast selbst kein Einkommen. Benjamin, ich
kann morgens nicht mal mehr in den Spiegel schauen, so schäme ich mich für
meine Existenz, für all das, was mir passiert ist. Ich weiß nicht, wie ich dir
jemals das ganze Geld zurückzahlen soll. Alles was ich habe, trage ich an mir.
Ich kann dir nichts geben und könnte dir niemals so viel geben wie du mir schon
gegeben hast.“ – „Das lass mal meine Sorge sein.“ Falle ich ihm ins Wort, um
ihm zu zeigen, dass es mir ernst ist. Ihn an dieser Stelle hängen zu lassen
wäre sein buchstäbliches Todesurteil. Wie könnte jemand damit weiterleben? Ich
habe selbst nicht viel Geld, aber ich bin sicher, dass jeder andere auch so
gehandelt hätte. „Meine Unterstützung hast du. Das ist mein ‚part‘. Dein ‚part‘
ist es jetzt nicht aufzugeben, jetzt neue Pläne zu machen und an heute und vielleicht
morgen zu denken. Über Übermorgen reden wir ein ander Mal. Step-by-Step.“
Endlich huscht ein kleines Lächeln über seine Lippen. Er
reicht mir seine Hand über den Tisch, ergreift die meinige und flüstert: „Allein
deine Worte geben mir meine Hoffnung zurück. Ich weiß nicht wie ich dir –
erneut – danken soll. Es tut einfach gut zu wissen, dass noch jemand an so
einen alten Knochen wie mich glaubt.“ – „Ich habe dir gesagt: So lass ich diese
Geschichte nicht enden. Es wird eine Fortsetzung geben! Irgendwie werden wir einen Weg finden. So viel steht fest.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen