Freitag, 28. Dezember 2012

Student sein ist wie Krieg führen. Nur anders.

Etwas in Eile stürme ich in Richtung Haupteingangstor meiner Universität. Ich bin mal wieder zu spät nach deutscher Zeit - aber in türkischer Zeitrechnung eigentlich ziemlich pünktlich. Mit großen Schritten will ich dennoch ein wenig Zeit gut machen, um noch was Essen zu können.
Ein (kleiner) Teil der Schutzmänner
 Aus dem Augenwinkel nehme ich gerade noch wahr, dass hier irgendetwas anders ist, bevor ich mit voller Wucht frontal auf die dicke Schutzpanzerung eines Polizeibeamten treffe, der sich mir demonstrativ in den Weg gestellt hat. Aua. Während ich zurückschwinge, wirft er mir einen grimmigen Blick zu und spricht: „Ausweis!“. Ich bin verwirrt. Was ist denn jetzt passiert? Das war doch sonst hier kein Problem? Ich komme hier doch auch so immer rein? Ich schaue an seiner Schulter vorbei und erblicke sehnsüchtig das sonst immer zuverlässig funktionierende Drehkreuz, das anscheinend deaktiviert wurde. „Ausweis! Wo ist dein Ausweis!“ ruft er abermals, während ein weiterer Mann mit Maschinengewehr langsam auf uns zuschreitet. Als ich ihn erblicke, erkenne ich auch gleichzeitig, dass hinter der nächsten Ecke ein ganzer Panzerwagen voller Polizisten steht wie man sie aus Deutschland sonst nur aus dem TV bei Ausschreitungen am Ersten Mai kennt. Mit Schutzschildern und Helm ausgestattet stehen sie in Formation als würden sie auf ein Signal des Mannes warten, der mit seiner um den Hals hängenden mp-5 Waffe langsam näher kommt. Mein Zögern macht mich wohl verdächtig.
Stammelnd zeige ich auf irgendeinen meiner Ausweise in meinem Geldbeutel. „Das ist nicht das, was ich will“ faucht er und greift sich mein Geldbeutel bis er glücklicherweise das findet, was er will. „Sie studieren ja hier!? Sagen Sie das doch gleich!“. Ja, das nächste Mal, wenn mir unerwarteter Weise ein Mann mit Waffe gegenübersteht und meinen Ausweis sehen will, dann werde ich sagen: 'Ich studiere hier.' Versprochen. „Weitergehen!“, er bewegt sich wie eine Felswand zur Seite und winkt mich in alter Straßenverkehrspolizistenmanier bestimmend weiter. Endlich passiere ich zwischen dem Wasserwerfermobil und der aufgestellten Kampfformation an Polizisten das mir einst so bekannte Universitätstor. Was zur Hölle ist denn passiert, das diesen Aufmarsch an bewaffneter Polizei rechtfertigt? Ist es wegen den reißerischen Plakaten, der kommunistischen Studentengruppe, die bezüglich der Stationierung deutscher Nato Soldaten an der Türkisch-Syrischen Grenze kritische Plakate (Obama, Merkel und Holland vor einer Naziflagge) an der Uni aufhängen lies? Nein, die Kommunisten waren schon immer so. Das ist nichts Neues. Aber was ist es dann?

Bild der Ausschreitungen zw. Polizei und Protestlern (Zeitung)
Alles hat vor ca. 2 Wochen mit der Einweihungsfeier des Göktürk-2 Satelliten begonnen. Premierminister Tayyip Erdogan wurde in die Technische Universität Ankara (ODTÜ) eingeladen, um dort voller Stolz zu verkünden, dass die Türkei durch die Entwicklung dieses Satelliten zu den 10 Nationen der Welt aufsteigt, die technisch zu so einer Ingenieursleistung fähig sind. Doch dabei traf er auch auf einige Studenten, die die Ankunft des Premierministers zum Anlass nahmen, sich über die fortschreitende Privatisierung der Hochschullandschaft zu beklagen. Mehr als 3000 Polizisten mussten beordert werden, um die Sicherheit des obersten Mannes zu garantieren, denn sie sollten dort auf „mit Steinen und Molotowcocktails bewaffnete Studenten und Angehörige verbotener Organisationen“ (O-Ton der Regierung) treffen. Der Protest der 700 Anwesenden wurde mit Gummigeschossen, Wasserwerfen und Gaskanonen buchstäblich niedergeprügelt. Und weil jegliche Form von Opposition in Regierungskreisen als nicht tolerierbar empfunden wird, erging am selben Tag noch die Mahnung Erdogans an der Rektor dieser Universität: „Wenn sie solche Studenten erziehen, dann sollten sie sich schämen!“. Ein Statement, das lediglich von Staatspräsident Abdullah Gül getoppt werden konnte, der von sich gab, dass „der Wissenschaftsbereich sich zukünftig aus solchen politischen Dingen rauszuhalten hat“.
Der nächste Tag brachte landesweit verschiedene Studentenbewegungen hervor. Viele akademische Stimmen wollen darauf auf aufmerksam machen, dass die von den Medien betitelten „gewalterfüllten Proteste“ keinesfalls die Wirklichkeit spiegelten und im gleichen Atemzug die Freilassung der etlichen inhaftierten Studenten fordern. Dagegen unterzeichneten 7 Universitäten eine Kampagne, die den Protestierenden vorwirft, die Feierlichkeiten zerstört haben zu wollen und behaupten, dass diese Bewegung keine reine studentische gewesen sei, sondern von einer politischen Opposition angezettelt worden sein müsse. 
Doch die verschiedenen Repressionen haben wenig geholfen. Das Feuer nimmt seinen Lauf. In ihren Forderungen absolut verschieden, doch in ihrer Abneigung gegenüber der Regierung geeint, entstehen immer mehr politische Bewegungen in akademischen Kreisen. An zwei Istanbuler Universitäten sind ähnliche regierungskritische Proteste ausgebrochen, die anscheinend eines Polizeieinsatzes bedurften. Und nun vielleicht auch die Yildiz? Meine Yildiz Universität? Nein, nein – die ca. 150 bewaffneten Soldaten, die zwei Panzerwägen und die Wasserkanone, die unsere Universität belagern, werden uns schützen. Dafür sind sie ja da. Sind sie doch, oder?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen