Nichts kann mich aufhalten! Keine meterhohen Wellen des
Bosporus, keine durch den Wind als bitterkalt empfundenen 5° und auch nicht,
nein, vor allem nicht der fast unsichtbare Nieselregen, der sich auf den
Brillengläsern der Brillenträger niedersetzt und diese unvermeidbar zum ständigen
Säubern desselben zwingt. Istanbul ist bekannt für diese gemeine Art von
Nicht-Wetter. Diese nicht bezeichnete Zwischenlage von „es regnet nicht“ und
„ich bin trotzdem nass“ führt dazu, dass man sich bei der Selektion der
Kleidung eigentlich immer auf Nässe einstellen kann.
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Aber genug davon! Denn ich habe mich dieser Nässe gestellt!
Das war die bittere Konsequenz aus meinem wunderschön-sonnigen Samstag, den ich
mit einem deutlichen Schlaf- und Orientierungsdefizit in in-Stau-stehenden
Bussen verbracht habe. Von meinem sicheren Exil in Asien auf zur
Touristenfestung mit all seinen seltsamen Facetten. Wer glaubt, Shopping-Center
sind die Zukunftskonzepte des Einkaufens, der war noch nie auf dem das ganze
Vierteil durchdringende ägyptischen Bazar Istanbuls. Wer glaubt,
Religionsausübung und die Ausgeburt des Tourismus passen nicht zusammen, der
findet hier Gegenbeispiele. Wer glaubt, die „Vo-ku-hi-la“ gehöre endgültig in
die Geschichtsbücher der „schrecklichen Modetrends, die wir zum Glück
überwanden“, wird hier von seiner Zeitlosigkeit überrascht. Und wer glaubt,
dass Schuhputzer eigentlich ganze nette Gesellen sind, der wird hier übers Ohr
gehauen.
Den touristenentleerten Straßen an diesem nassen Sonntag
folgend, spaziere ich einige kleine Seitenstraßen entlang. Ein einzelner Mann
weckt meine Aufmerksamkeit. Er sitzt dort unter einem kleinen Vordach mit
seinem schön hergerichteten Schuhputzwerkzeug auf einem kleinen Hocker und singt
ein Liedchen vor sich hin. Ich scheine ihn erschreckt zu haben, denn er zuckt
zusammen als er mich erblickt. Während ich mit meinen für gewöhnlich großen
Schritten mich ihm schnell nähere, packt er behutsam seine Dinge und grundlos
steht auf und überquert die Straße. „Klack, klack“ macht es als dabei seine
Bürste von seinem Schuhkoffer auf den matten Pflastersteinboden trifft. Er
schreitet jedoch voran, still und den konzentrierten Blick auf die andere,
immer noch leere Straßenseite gerichtet. „Hey Bruder, du hast hier was
verloren. Das ist deine, richtig?“ frage ich und hebe die mir vor die Füße
gefallene Bürste auf. Und da kommt es. Der Einfall. ‚Momentmal‘, denke ich mir.
‚Ich kenne das irgendwo her. Ich hab davon gelesen. Genau! Der Schuhputzer
läuft weg, lässt dich deine Bürste aufheben und zum Dank will er dir die Schuhe
putzen und erzählt dir dabei von seinen armen Kindern für die er das Geld
braucht und gibt sich danach solange nicht zufrieden bis du ihm mindestens 10TL in den Rachen wirfst‘. Und tatsächlich: Der Mann dreht sich um, nimmt mit einer Theatralik,
an der er sicherlich noch feilen könnte, die Bürste entgegen und bittet mich
wie zum einstudierten Tanz zu einer Runde „Schuhputzen“. Ich muss mich
beherrschen, dass ich nicht laut loslache, als ich realisiere, was hier
passiert. „Nein, nein, Bruder. Ich bin kein Idiot. Leider, für dich“, weise ich
sein Angebot mit einem Abwinken zurück und entferne mich. Das letzte, was von
ihm ich im Augenwinkel sehe ist, der Blick eines Desillusionierten, dessen
sichergeglaubter Trick nicht funktioniert hat.
Und was ich fühle? Nichts Geringeres als das Gefühl mich durch diese Tat endgültig nicht mehr als Tourist zu profilieren, sondern als ebenbürtiger Mitbürger bewiesen habe. Ein Kenner der Stadt und deren Tricks und damit einhergehend: endlich Gleichstellung.
Eine Art Triumph.
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