Sonntag, 16. Dezember 2012

König Fußball

Istanbul ist nicht Istanbul ohne seinen Fußball. 5 Fußballvereine gibt es hier. Alle 5 spielen in der ersten Liga. Das bedeutet jede Menge Derbys und jede Menge Rivalität. Ungefähr 2 Fragen nach „Wie heißt du?“ kommt eigentlich gleich schon „und welchen Fußballverein supportest du hier?“. Die Antwort entscheidet über die weitere Kommunikation: Freund oder Feind. Dabei wird zwischen Männlein und Weiblein kein Unterschied getroffen. Jeder muss eine Antwort parat haben. Der Gott des Fußballs ist geschlechtslos hier.
Aber er ist definitiv nicht immer friedlich. Aufgrund der vielen Ausschreitungen um die Stadien, ist es jetzt seit nunmehr 2 Jahren vorgeschrieben, dass nur noch eine Mannschaft (die Heimmannschaft) die Fans stellt. Bei dem heutigen Derby zwischen Galatasaray Istanbul  und Fenerbahce Istanbul heißt das, dass die 52 000 große Türktelekom-Arena ausschließlich mit Fans von Galatasaray gefüllt ist. Das Konzept scheint aufzugehen: die Ausschreitungen haben sich auf ein Minimum reduziert und der  Stimmung hat es absolut keinen Abbruch erzielt – ganz im Gegenteil wird bei diesen Spielen die Mannschaft noch viel intensiver unterstützt, weil man den Rivalität zu den gegnerischen Fans nicht innerhalb des Stadions, sondern in die Medien wiederfindet: Wer hat die beste Show geliefert? Welches Derby hatte die beste Stimmung? Dominanz wird hier also nicht mit Gewalt, sondern mit eindrucksvollen Fanaktionen (Choreografie) verdeutlicht.
Warum ist da in Deutschland eigentlich noch keiner drauf gekommen? Stattdessen werden in deutschen Stadien jetzt Ganzkörperkontrollenund verschärfte Sanktionen gegen Fans und Vereine bei Gewaltakten eingeführt.  In Aspekten der Sicherheitspolitik und Umgang mit Fans kann also die DFL noch einiges von der Süperlig lernen.
Leider lässt sich ähnlich wie in der deutschen Szene im türkischen Fußball eine starke Kommerzialisierung beobachten. Der Kapitalismus hat sich längst durch die Stadionmauern gefressen und beherrscht mittlerweile diese Events. Die absolut ausreizende Kommerzialisierung geht von Eintrittspreise in astronomischer Höhe (50-100€), über Werbeeinblendungen, die im 30 Sekundentakt (true story!) ein Fünftel des Bildschirms bedecken, bis hin zu Kneipen, die 5-10€ Anschau-Gebühr verlangen, wenn man das Spiel wenigstens im TV sehen will. Freundlicherweise wurde uns das aber auch erst NACH dem Spiel gesagt, dass es hier üblich ist, dass man hierfür zahlt.
„Boahc, schaust du dir das Spiel heute an?“, frage ich meinen mittlerweile guten türkischen Freund und Sprachlehrer. „Was Galatasaray – Fenerbahce? Was will ich die ankucken? Ich bin Besiktas!!! Wenn du heute Abend denkst, dass die im Stadion laut sind, dann sag ich dir mal eins: Letztes Jahr in unserem Spiel gegen Antalyaspor wurde bei uns in der Stadionmitte 122 Dezibel gemessen. Und das in einem open-air Stadion mit gerade einmal Platz für 25 000 Menschen. Ich sag dir: DAS war laut!“. Wenn ich das mal mit den Schallpegelmessungen im  Internet vergleiche, dann ist das wirklich ziemlich laut: eine Motorsäge, ein Presslufthammer oder eine Disco hat ca. 100 db, ein mp3 Player auf voller Lautstärke oder ein Rockkonzert ca. 110  db, ein Flugzeug aus 100m Entfernung 120 db, und ein Düsentriebwerk trifft aus 100m Entfernung die Schmerzwelle mit 130 db an Lautstärke. Da werden bei Besiktas wohl am Schluss einiger heißer gewesen sein.
Was bei einem Derby auch nicht fehlen darf ist die Aftershow-Party. Die, und das beweist nochmals das bereits gesagte, ebenfalls absolut friedlich und dennoch in ausgelassener Stimmung stattfand. Fußball durchzieht hier alle Gesellschaftsklassen, sodass selbst ein Mann im Business Anzug neben mir auf der Partymeile eine Bengalo zündet und ausgelassen mit seinen Freunden feiert. Das kleine Video kann einen kurzen Eindruck eines verrückten Fußballabends geben, bei dem letztlich Galatasaray Istanbul mit einem 2-1 Sieg ihre Wintermeisterschaft sichern konnte.

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