Istanbul ist nicht Istanbul ohne seinen Fußball. 5
Fußballvereine gibt es hier. Alle 5 spielen in der ersten Liga. Das bedeutet
jede Menge Derbys und jede Menge Rivalität. Ungefähr 2 Fragen nach „Wie heißt
du?“ kommt eigentlich gleich schon „und welchen Fußballverein supportest du
hier?“. Die Antwort entscheidet über die weitere Kommunikation: Freund oder
Feind. Dabei wird zwischen Männlein und Weiblein kein Unterschied getroffen.
Jeder muss eine Antwort parat haben. Der Gott des Fußballs ist geschlechtslos
hier.
Aber er ist definitiv nicht immer friedlich. Aufgrund der
vielen Ausschreitungen um die Stadien, ist es jetzt seit nunmehr 2 Jahren
vorgeschrieben, dass nur noch eine Mannschaft (die Heimmannschaft) die Fans
stellt. Bei dem heutigen Derby zwischen Galatasaray Istanbul und Fenerbahce Istanbul heißt das, dass die
52 000 große Türktelekom-Arena ausschließlich mit Fans von Galatasaray gefüllt
ist. Das Konzept scheint aufzugehen: die Ausschreitungen haben sich auf ein
Minimum reduziert und der Stimmung hat
es absolut keinen Abbruch erzielt – ganz im Gegenteil wird bei diesen Spielen
die Mannschaft noch viel intensiver unterstützt, weil man den Rivalität zu den
gegnerischen Fans nicht innerhalb des Stadions, sondern in die Medien wiederfindet:
Wer hat die beste Show geliefert? Welches Derby hatte die beste Stimmung? Dominanz
wird hier also nicht mit Gewalt, sondern mit eindrucksvollen Fanaktionen (Choreografie)
verdeutlicht.
Warum ist da in Deutschland eigentlich noch keiner drauf
gekommen? Stattdessen werden in deutschen Stadien jetzt Ganzkörperkontrollenund verschärfte Sanktionen gegen Fans und Vereine bei Gewaltakten eingeführt. In Aspekten der Sicherheitspolitik und
Umgang mit Fans kann also die DFL noch einiges von der Süperlig lernen.
Leider lässt sich ähnlich wie in der deutschen Szene im
türkischen Fußball eine starke Kommerzialisierung beobachten. Der Kapitalismus
hat sich längst durch die Stadionmauern gefressen und beherrscht mittlerweile
diese Events. Die absolut ausreizende Kommerzialisierung geht von Eintrittspreise
in astronomischer Höhe (50-100€), über Werbeeinblendungen, die im 30
Sekundentakt (true story!) ein Fünftel des Bildschirms bedecken, bis hin zu
Kneipen, die 5-10€ Anschau-Gebühr verlangen, wenn man das Spiel wenigstens im
TV sehen will. Freundlicherweise wurde uns das aber auch erst NACH dem Spiel
gesagt, dass es hier üblich ist, dass man hierfür zahlt.
„Boahc, schaust du dir das Spiel heute an?“, frage ich
meinen mittlerweile guten türkischen Freund und Sprachlehrer. „Was Galatasaray
– Fenerbahce? Was will ich die ankucken? Ich bin Besiktas!!! Wenn du heute Abend
denkst, dass die im Stadion laut sind, dann sag ich dir mal eins: Letztes Jahr
in unserem Spiel gegen Antalyaspor wurde bei uns in der Stadionmitte 122
Dezibel gemessen. Und das in einem open-air Stadion mit gerade einmal Platz für
25 000 Menschen. Ich sag dir: DAS war laut!“. Wenn ich das mal mit den
Schallpegelmessungen im Internet
vergleiche, dann ist das wirklich ziemlich laut: eine Motorsäge, ein
Presslufthammer oder eine Disco hat ca. 100 db, ein mp3 Player auf voller
Lautstärke oder ein Rockkonzert ca. 110 db,
ein Flugzeug aus 100m Entfernung 120 db, und ein Düsentriebwerk trifft aus 100m
Entfernung die Schmerzwelle mit 130 db an Lautstärke. Da werden bei Besiktas
wohl am Schluss einiger heißer gewesen sein.
Was bei einem Derby auch nicht fehlen darf ist die
Aftershow-Party. Die, und das beweist nochmals das bereits gesagte, ebenfalls
absolut friedlich und dennoch in ausgelassener Stimmung stattfand. Fußball durchzieht
hier alle Gesellschaftsklassen, sodass selbst ein Mann im Business Anzug neben
mir auf der Partymeile eine Bengalo zündet und ausgelassen mit seinen Freunden
feiert. Das kleine Video kann einen kurzen Eindruck eines verrückten
Fußballabends geben, bei dem letztlich Galatasaray Istanbul mit einem 2-1 Sieg
ihre Wintermeisterschaft sichern konnte.
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