Im internationalen Business gibt es eine bestimmte Verfahrensweise
wie man mit Expatriates (aus der Heimatland der Firma ins Ausland entsandte
Manager) umzugehen hat. Und zwar schwört man darauf, dass es das Beste ist,
diese, wenn es das Projekt zulässt, nach 4 Monaten wieder zurückzuholen. Nach 4
Monaten nämlich, kommt die Phase des Kulturschocks, gefolgt von einer tiefen
Phase der Depression und Heimweh (Woesler 2009: 31). Zumindest, wenn man dem Autor glaubt. Ich habe
in 10 Tagen meine 4 Monatsgrenze überschritten. Aber von Kulturschock spüre ich
(noch) nichts. Aber ich merke kulturelle Unterschiede. Vieles, was für uns
Zuhause selbstverständlich erscheint, kann man sich hier nicht mal konzeptuell
vorstellen. Drei Tatsachen will ich euch
dazu schildern:
Die Vorstellung Schweinefleisch zu essen wird hier derart
als eklig/widerlich empfunden, dass man immer mit großen, verständnislosen
Augen angeschaut wird. „Nein! Natürlich gibt es das hier nicht!“. Ist ja gut,
ist ja gut. „Das steht auch im Koran! Das ist unrein. Das dürfen wir nicht
essen.“ Aha. Und steht im Koran nicht auch etwas davon, dass man kein Alkohol
trinken darf? „Naja, das kann man so sehen… Aber Schweinefleisch ist einfach unrein!“.
Meinetwegen. Ich dachte auf jeden Fall, dass ich sehr gut auf des Deutschen
liebstes Fleisch verzichten kann, aber solche Kleinigkeiten wie Schinken, Landjäger,
Salami, Lyoner, Speckwürfel, Schnitzel, Fleischkäse, Bratwurst, Wurst im
Allgemeinen – das fehlt mir langsam echt. „Gibt es denn hier überhaupt irgendwo
so etwas wie Salami zu kaufen?“ frage ich meinen Sprachlehrer Boahc, der bei
dem Wort ‚Salami‘ seine Augen weitete als höre er gerade die Stimme Allahs.
„Oooh, Salami. Ja, Salami gibt es hier, aber nur in ausgewählten Metzgereien.“
Sein Blick Richtung seines Biers gerichtet beginnt er zu lachen und meint
weiter: „Das mit der Wurst ist hier ganz schön verzwickt musst du wissen: Das
verdammte, und das meine ich wortwörtlich so, das verdammte Schweinefleisch, was im Islam traditionell als ‚unrein‘
bezeichnet wird, ist das teuerste Fleisch der ganzen Türkei! Weißt du was eine
Wurst kostet? 10 €! Stell dir das mal vor. Das sind über 3€ für 100g.“ Fast
schon dieses Schicksal bedauernd fügt er hinzu: „Jaja, die meisten Türken
werden sterben ohne jemals eine echte geräucherte Salami gegessen zu haben.“
Aber umgekehrt gibt es das Phänomen der Unrein-Rein
Nahrungsmittelproblematik auch. Die Speise Kokorec zum Beispiel enthält
gebratene Innereien in einem Lammdarm zubereitet. Würzig und sehr speziell und deswegen
auch sehr beliebt hier. Aber will die Türkei tatsächlich mal in die EU
beitreten, so muss sie diese Spezialität ‚abschaffen‘ (was auch immer das
heißen mag). Tatsächlich ist es ein Bestandteil der EU-Auflagen, dass Kokorec
von der Straßen verschwindet. Anscheinend genüge es nicht immer den
hygienischen Standards von europäischen Speiserichtlinien, die unter anderem
den Verkauf von rohen Innereien, Augäpfeln und Gehirnen verbieten. Die Türken
finden diese Einmischung in ihre Küche verständlicherweise überhaupt nicht
witzig und starteten bereits 2003
Marketingaktionen, um „ihren Kokorec“ vor dem europäischen Regulierungswahn zu
retten.
Die "Unberührbaren" |
Katzen hingegen gibt es original auch nur im Straßenformat.
Aber im Gegensatz zu den Hunden werden diese zumindest toleriert, gemocht und
manchmal auch mit echtem Katzenfutter gefüttert. Interessanterweise halten sich
Katzen bevorzugt auf den islamischen Friedhöfen auf. Dort ist es erstens
ungefährlicher für sie und zweitens werden sie dort von gutmütigen Menschen
gefüttert und drittens können sie sich dort… (siehe Bild).
Im Detail liegt die Freude |
Das alles noch nicht
wissend frage ich Deniz nach ihrem Verhältnissen zu den Plüschtigern: „Hast du
mal eine Katze gehabt, Deniz?“. „Jaa, ich erinnere mich. Ja, ich hatte mal
eine. Die hab ich von der Mosche vorne.“ „Was kostet so eine Katze hier?“ –
„Kosten? Hä? Ich hab einfach eine hübsche von der Straße aufgehoben und mit nach
Hause genommen“, berichtigt sie mich mit einem Schulterzucken, als ob sie meine
Frage nicht verstanden hat. „Aha. Und hat
das dann Zuhause geklappt? Du hast damals ja vermutlich genau so viel
gearbeitet, oder?“ – „Naja, geht so. Nach ein paar Wochen ist sie gestorben.
Dann hatte ich keine Lust mehr auf Katzen.“ Alles klar.
Ein Mann der sichtlich mehr Spaß and der Katze hat als umgekehrt |
Und von Hunden und Katzen wieder zurück zum Essen, zur
dritten hier als absurd empfunden Vorstellungen, die wir in Deutschland als
selbstverständlich wahrnehmen: Die Vorstellungen Vegetarier zu sein. Ich habe
hier viele Freunde, die Vegetarier sind und ständig wie ein Alien behandelt
werden: „Aber warum magst du denn kein Fleisch?“ ist eine der typischen Fragen,
die man sich hier als Vegetarier ständig gefallen lassen muss. Interessant wird
das im Kontext eines Restaurantbesuchs: „Ist da Fleisch drin?“ – „Ähm, ja.
Vermutlich. Kann sein.“ – „Haben Sie denn etwas ohne Fleisch?“ „Ohne Hühnchen
oder ohne Rindfleisch?“ „Ohne beides“ „Sie meinen etwas mit weniger Fleisch?“ „Nein, ich meine etwas ohne Fleisch.“ „Also, ich
könnte aus der Paprika hier das Fleisch wieder rausmachen, dann hätte ich was
ohne Fleisch.“ Die Vorstellung, dass jemand aus welchen Gründen auch immer kein
Fleisch essen mag, geht hier in keinen Kopf.
Und dabei kann sich die türkische Küche nicht überall auf
die Brust schreiben, dass es gutes Fleisch hat. Wo ein Döner für 60 Cent
inklusive Getränk verkauft wird, der kann sich ausrechnen, was da wohl drin
ist. Ja, genau das, was du gerade denkst. Mahlzeit. Gründe gibt es also genug,
dass man auch mal das Fleisch hier verweigern will. Aber ob das klappt, liegt
in den Händen Allahs.
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