Samstag, 15. Dezember 2012

3 unbekannte Konzepte

Im internationalen Business gibt es eine bestimmte Verfahrensweise wie man mit Expatriates (aus der Heimatland der Firma ins Ausland entsandte Manager) umzugehen hat. Und zwar schwört man darauf, dass es das Beste ist, diese, wenn es das Projekt zulässt, nach 4 Monaten wieder zurückzuholen. Nach 4 Monaten nämlich, kommt die Phase des Kulturschocks, gefolgt von einer tiefen Phase der Depression und Heimweh (Woesler 2009: 31).   Zumindest, wenn man dem Autor glaubt. Ich habe in 10 Tagen meine 4 Monatsgrenze überschritten. Aber von Kulturschock spüre ich (noch) nichts. Aber ich merke kulturelle Unterschiede. Vieles, was für uns Zuhause selbstverständlich erscheint, kann man sich hier nicht mal konzeptuell vorstellen. Drei Tatsachen  will ich euch dazu schildern: 

Die Vorstellung Schweinefleisch zu essen wird hier derart als eklig/widerlich empfunden, dass man immer mit großen, verständnislosen Augen angeschaut wird. „Nein! Natürlich gibt es das hier nicht!“. Ist ja gut, ist ja gut. „Das steht auch im Koran! Das ist unrein. Das dürfen wir nicht essen.“ Aha. Und steht im Koran nicht auch etwas davon, dass man kein Alkohol trinken darf? „Naja, das kann man so sehen… Aber Schweinefleisch ist einfach unrein!“. Meinetwegen. Ich dachte auf jeden Fall, dass ich sehr gut auf des Deutschen liebstes Fleisch verzichten kann, aber solche Kleinigkeiten wie Schinken, Landjäger, Salami, Lyoner, Speckwürfel, Schnitzel, Fleischkäse, Bratwurst, Wurst im Allgemeinen – das fehlt mir langsam echt. „Gibt es denn hier überhaupt irgendwo so etwas wie Salami zu kaufen?“ frage ich meinen Sprachlehrer Boahc, der bei dem Wort ‚Salami‘ seine Augen weitete als höre er gerade die Stimme Allahs. „Oooh, Salami. Ja, Salami gibt es hier, aber nur in ausgewählten Metzgereien.“ Sein Blick Richtung seines Biers gerichtet beginnt er zu lachen und meint weiter: „Das mit der Wurst ist hier ganz schön verzwickt musst du wissen: Das verdammte, und das meine ich wortwörtlich so, das verdammte Schweinefleisch, was im Islam traditionell als ‚unrein‘ bezeichnet wird, ist das teuerste Fleisch der ganzen Türkei! Weißt du was eine Wurst kostet? 10 €! Stell dir das mal vor. Das sind über 3€ für 100g.“ Fast schon dieses Schicksal bedauernd fügt er hinzu: „Jaja, die meisten Türken werden sterben ohne jemals eine echte geräucherte Salami gegessen zu haben.“
Aber umgekehrt gibt es das Phänomen der Unrein-Rein Nahrungsmittelproblematik auch. Die Speise Kokorec zum Beispiel enthält gebratene Innereien in einem Lammdarm zubereitet. Würzig und sehr speziell und deswegen auch sehr beliebt hier. Aber will die Türkei tatsächlich mal in die EU beitreten, so muss sie diese Spezialität ‚abschaffen‘ (was auch immer das heißen mag). Tatsächlich ist es ein Bestandteil der EU-Auflagen, dass Kokorec von der Straßen verschwindet. Anscheinend genüge es nicht immer den hygienischen Standards von europäischen Speiserichtlinien, die unter anderem den Verkauf von rohen Innereien, Augäpfeln und Gehirnen verbieten. Die Türken finden diese Einmischung in ihre Küche verständlicherweise überhaupt nicht witzig und starteten bereits 2003  Marketingaktionen, um „ihren Kokorec“ vor dem europäischen Regulierungswahn zu retten. 
  
Die "Unberührbaren"
Das Thema tierische Innereien bringt mich zum zweiten Punkt: Hunde und Katzen. (Ich weiß, diese Überleitung ist mir besonders gut gelungen). Das Konzept von Haustieren gibt es hier schlicht nicht. Während man in Deutschland beim Nachhauseweg manchmal fürchtet überfallen und ausgeraubt zu werden, so ist es in der Türkei die größte Angst von wilden Hunden verfolgt zu werden. Wobei diese Angst zumindest in den Städten absolut unbegründet ist, aber es reflektiert die Abneigung vor diesen „Bestien“. Wie gesagt: Hunde leben auf der Straße und müssen sich deswegen nachts von den Mülltüten auf der Straße oder von barmherzigen Döner-Verkäufern, die ihre Reste wahrlich den Hunden zum Fraß vorwerfen, ernähren. Ein echtes Hundeleben.
 Katzen hingegen gibt es original auch nur im Straßenformat. Aber im Gegensatz zu den Hunden werden diese zumindest toleriert, gemocht und manchmal auch mit echtem Katzenfutter gefüttert. Interessanterweise halten sich Katzen bevorzugt auf den islamischen Friedhöfen auf. Dort ist es erstens ungefährlicher für sie und zweitens werden sie dort von gutmütigen Menschen gefüttert und drittens können sie sich dort… (siehe Bild). 
Im Detail liegt die Freude
Das alles noch nicht wissend frage ich Deniz nach ihrem Verhältnissen zu den Plüschtigern: „Hast du mal eine Katze gehabt, Deniz?“. „Jaa, ich erinnere mich. Ja, ich hatte mal eine. Die hab ich von der Mosche vorne.“ „Was kostet so eine Katze hier?“ – „Kosten? Hä? Ich hab einfach eine hübsche von der Straße aufgehoben und mit nach Hause genommen“, berichtigt sie mich mit einem Schulterzucken, als ob sie meine Frage nicht verstanden hat.  „Aha. Und hat das dann Zuhause geklappt? Du hast damals ja vermutlich genau so viel gearbeitet, oder?“ – „Naja, geht so. Nach ein paar Wochen ist sie gestorben. Dann hatte ich keine Lust mehr auf Katzen.“ Alles klar.
Ein Mann der sichtlich mehr Spaß and der Katze hat als umgekehrt
Und von Hunden und Katzen wieder zurück zum Essen, zur dritten hier als absurd empfunden Vorstellungen, die wir in Deutschland als selbstverständlich wahrnehmen: Die Vorstellungen Vegetarier zu sein. Ich habe hier viele Freunde, die Vegetarier sind und ständig wie ein Alien behandelt werden: „Aber warum magst du denn kein Fleisch?“ ist eine der typischen Fragen, die man sich hier als Vegetarier ständig gefallen lassen muss. Interessant wird das im Kontext eines Restaurantbesuchs: „Ist da Fleisch drin?“ – „Ähm, ja. Vermutlich. Kann sein.“ – „Haben Sie denn etwas ohne Fleisch?“ „Ohne Hühnchen oder ohne Rindfleisch?“ „Ohne beides“ „Sie meinen etwas mit weniger Fleisch?“ „Nein, ich meine etwas ohne Fleisch.“ „Also, ich könnte aus der Paprika hier das Fleisch wieder rausmachen, dann hätte ich was ohne Fleisch.“ Die Vorstellung, dass jemand aus welchen Gründen auch immer kein Fleisch essen mag, geht hier in keinen Kopf.
Und dabei kann sich die türkische Küche nicht überall auf die Brust schreiben, dass es gutes Fleisch hat. Wo ein Döner für 60 Cent inklusive Getränk verkauft wird, der kann sich ausrechnen, was da wohl drin ist. Ja, genau das, was du gerade denkst. Mahlzeit. Gründe gibt es also genug, dass man auch mal das Fleisch hier verweigern will. Aber ob das klappt, liegt in den Händen Allahs.

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