Ich denke bei der Vorstellung von Abendveranstaltungen merkt
man am allerschnellsten, wenn zwei Kulturen aufeinander prallen. Genau das
geschah heute in einem griechisch anmutenden und türkisch bezeichneten
Restaurant am Rande Ankaras. Über die abgezählten 5 Pommes mit 1
Tomatenscheiben und drei trockenen, daumendicken Fleischstücken für 15 Lira wollen wir gar
nicht reden, sondern gleich zur Beschäftigung nach dem Essen springen. „Liebe Gäste,
die nächsten paar Songs sind extra für euch“ haucht ein Mann in sein Mikrofon auf
der provokativ direkt vor uns platzierten Bühne. Er sitzt an einem Keyboard,
während neben ihm die Sängerin gerade ihren Platz einnimmt.
Die haben jetzt nicht ernsthaft eine Band für uns engagiert,
oder? Oh doch. Ein wenig irritiert, ob wir uns jetzt davon angesprochen fühlen
müssen oder nicht, sitzen wir noch an unserem Tischen und suchen auf dem
leerwirkenden Teller nach Essbarem. Nachdem die Sängerin ihr erstes Lied
beendet hat, klatscht der Nachbartisch bestehend aus drei verschiedenen
türkischen Familien mit voller Inbrunst, wir stimmen verhalten mit ein und
fragen uns leicht genervt, ob wir das jetzt nach jedem gespielten Lied machen
müssen. Nur 2 Lieder dauert es bis die ersten Personen vom Nachbartisch gut
erheitert mitsingen und schließlich zum Tanzen aufstehen. Okay, gut, wir können
kein türkisch, wir kennen das Lied nicht, wir dürfen sitzenbleiben und weiter den
Anisschnaps Raki schlürfen. Klingt logisch, klingt gut. Doch nach 6 Liedern
erhebt die Band nochmals die Stimme: „Liebe europäische Gäste, ihr dürft auch
gerne tanzen“. Betretendes Schweigen, es wird versucht diese Sätze zu überhören
und sich an seinem Getränk festzuklammern.
Der Nachbartisch ist bereits in Oktoberfestlaune
und hat sich bereits in alt-analatonischer Laune ineinander eingehakt um den
typischen türkischen Tanz gemeinsam zu machen. Ich frage verhalten in unsere
Runde: „Wollt ihr da jetzt vorgehen?“ – „Oh Gott nein! Dafür muss ich erst noch
ein bisschen… vielleicht mehr als nur ein bisschen trinken“. Ja, das hört sich
doch sehr europäisch an. Der Bandleader unternimmt einen letzten Versuch: „Ich
habe auch einige europäische Lieder dabei. Ich bin mir sicher das gefällt euch
besser!“. „Oh Gott, was macht er denn jetzt?“, denke ich als er auf einen Knopf
auf seinem Keyboard drückt, der amerikanische 90er Jahre Popmusik
heraufbeschwört. Die bereits zum Tanz aufgestellte türkische Familie kann es
nicht fassen: „Was ist das denn jetzt? Spielt den Volkstanz!“ Doch zu spät. Der
Knopf wurde gedrückt. Es gibt kein Zurück mehr. Die nächsten 3min fegt der 90er
Jahre Pop auch noch die letzten türkischen Tanzbeine von der Fläche. Es sollte
der Stimmungswendepunkt des Abends sein. Irritiert, dass sich nach zweimaliger
Aufforderung keiner der steifen Europäer zum Tanz bewogen und gleichzeitig die
einzigen (türkischen) Fans verloren hat, zieht die Band spürbar beleidigt in
die Pause. Mittlerweile hat sich der Tisch bereits aufgesprengt. Der Druck
wurde zu groß. Es bildet sich auf der Veranda eine Art Rauchertisch, eine
Zufluchtsstätte für chronische Europäer und Freunde des Smalltalks abseits der
anderen. Einige bevorzugten auch die romantische Variante und nehmen sich zu
zweit eine Auszeit mittels eines Spaziergangs unter dem Sternenhimmel Ankaras.
Unter dem Vorwand der türkischen Kultur Oktruktion zu entfliehen, hat man hier
die Möglichkeit sich erstmals besser kennenzulernen.
Ich selbst bevorzuge Variante c: Zwischen den Standorten
oszillieren und nirgends für zugehörig gehalten werden. Kultureremit. Chronisch
europäisch.
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