Donnerstag, 13. September 2012

Das Zentrum des Mikrokosmos



Die Mensaria hier ist ein Mysterium für sich. 1 Lira kostet hier eine Mahlzeit. Das sind umgerechnet 40 Cent. Dementsprechend kann man sich auch die Qualität ausrechnen. Aber hey: Wir sind Studenten, wir sind es gewohnt zweckrational und effizient zu leben. Qualität können wir uns erst leisten, wenn wir mal richtig Geld verdienen. Bloß dann haben wir vermutlich keine Zeit mehr dafür, weil wir viel zu beschäftigt sind noch mehr Geld zu akkumulieren. Die Zirkularität des Kapitalismus.
Mitten in diesem Zirkus des zweckrationalisierten Essens gibt es eine unscheinbare Person, die für seine Ordnung zuständig ist. Er ist der erste der kommt und der letzte der geht. Versucht man nämlich sein Tablett nach dem Essen abzugeben, so muss man an ihm vorbei. Mit seiner schiefsitzenden roten, ausgeblichenen Mütze sitzt er auf seinem Posten vor seinen zwei Mülleimern. „He! Müll! Müll!“, ruft er mir hinterher, als ich bei meinem ersten Besuch seine Autorität noch nicht kannte. Langsam schlurpe ich zurück und werfe meine Serviette in den linken Mülleimer. „Nein! Das muss da rein!“, kommentiert er meinen Fehlverhalten, welches er sichtlich nicht nachvollziehen kann. Zweiter Versuch: Ich habe noch ein paar Ränder einer Wassermelone und ein halbes Stück Brot auf dem Teller. Wenn die Serviette (Restmüll) für den einen Mülleimer gedacht ist, dann ist der Rest bestimmt für Biomüll, oder? Zögerlich ergreife ich die Wassermelonenreste unter seinen prüfenden Blicken, doch bekomm ebenfalls wieder eine Rüge. Sein Unverständnis für mein Unverständnis hat mittlerweile ein Level erreicht, dass er sich einfach mein Tablett schnappt und die Dinge selbst ordnungsgemäß entsorgt. Etwas überfordert bekomme ich das entmüllte Tablett wieder und verstehe schließlich, dass ich nichts verstanden habe. Anscheinend wird hier nach Brotresten und alles-andere getrennt wird. Aha. Ehrlich gesagt will ich gar nicht wissen warum. Ich glaube ich lebe mit dem Unwissen besser.
Während ich immer noch leicht verwirrt vor dem grummligen Mann stehe, hat sich hinter mir eine lange Schlange gebildet. Jeder will sein Tablett abgeben und jeder muss an ihm vorbei. Ihm, den Müllmann, den Wächter der heiligen Mensa-Ordnung. Der gefühlte Erbauer dieser Mensa. In der Fluktuation von hunderten Gästen ist er der einzige, der immer da ist. Schon immer da war. Und auch nach uns noch da sein wird. Er ist das Kontinuum. Er ist der Fixstern, die Gravitation, das unsichtbare schwarze Loch um das sich alles dreht und von dessen Existenz kaum einer weiß, doch jeder fühlen kann, dass es da ist.
Lange nach Mensa-Schluss schreitet er davon. Auf seinen Schultern ein Beutel voller ordnungsgemäß getrennten Abfällen. Der Erfolg seiner Arbeit, verpackt in einem schwarzen Sack, unbeachtet und vor den Augen der Menschen verborgen. Genau wie sein Träger.

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