Montag, 29. Oktober 2012

Antalya



Der letzte Part meiner Bajram-Reise.
Nach 2 Tagen zieht es mich wieder fort. Den Mund noch voll mit frisch gebackenen Börek und eigenem Honig voll, stammle ich beim Frühstück mit Mehmets Familie leicht verlegen: „Ich habe überlegt, mh... Ich habe überlegt heute einen Freund in Antalya zu besuchen. Ich kenne ihn aus dem Sprachkurs und wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen.“ – „Ah, ok. Ja, Antalya ist ein Stück weit weg. Also ohne Melih heute?“, fragt Mehmet mit einem Blick, aus dem man lesen kann, dass er nicht weiß, was er denn heute mit seinem Sohn anstellen soll. „Mmh, ja. Ich möchte eben einen Freund besuchen“, beginne ich fast zu flüstern. Zwei Stunden steige ich aus dem Dolmus aus und werde von meinem uruguayischen Freund Ernesto mit all seiner südländischen Herzlichkeit empfangen. „Lass uns was essen gehen, mein Freund. Du musst bestimmt hungrig sein!“


Ernesto ist ein wirklich interessanter Mensch. Erst vor 5 Jahren hat er sein Talent für das Zeichnen entdeckt und hat es mit einiger, harter Arbeit perfektioniert. Seit 3 Jahren hat er sein Hobby in einem Tattoo-Shop in Spanien zum Beruf gemacht. „Aber mir ist wichtig, dass die Leute ihre Ideen mitbringen. Tattoo ist Kunst. Es ist etwas Einzigartiges, was erstens sehr gut überlegt werden will und zweitens eine Zusammenarbeit von Kunde und Künstler erfordert. Ich habe zum Beispiel keine Tattoo Vorlagen bei mir im Geschäft herumliegen, ich habe außerdem noch nie ein Tattoo zweimal gemacht. So was mache ich auch nicht.“ Wenn er von seiner Arbeit spricht, dann funkeln seine Augen. Es steckt viel mehr dahinter als eine einfache Zeichnung auf der Haut. Ein echter Künstler eben. „Komm, wir schauen uns ein paar Läden hier an. Ich bin auf der Suche nach einem Job und möchte einige Kontakte hier knüpfen.“ 
In einem der Läden, die wir besuchen, bleiben wir etwas länger. Es sieht sehr sauber und gepflegt aus. Auch der Besitzer macht einen sehr seriösen Eindruck. Wir schauen ihm ein wenig über die Schulter. „Was sticht er da gerade? Hast du ne Ahnung“ – „Wenn ich das richtig sehe, dann ist das die Unterschrift von Atatürk“ – „Was? Eine Unterschrift von Atatürk als Tattoo? Hä?“, ich versuche mich zusammenzureißen um diesen 17-jährigen Jungen, der sich das gerade dick auf den Unterarm stechen lässt nicht zu beleidigen. „So was macht man also?“ – „Ja, ja, vor allem heute. Heute ist doch der Geburtstag der Republikgründung!“. Achso, na klar. Natürlich lasse ich mir für so was noch kurz vorher ein Tattoo stechen…. Man will ja gut aussehen bei so einem Feiertag, nicht wahr?
Happy Birthday Türkiye! Etwas gespenstischer Nationalismus
Wir verlassen das Geschäft wieder und erkennen die Straße nicht mehr. Menschen strömen von überall her an uns vorbei ins Stadtzentrum. Jugendliche, Familien, selbst Obdachlose haben sich mit einer Fahne um den Hals auf den Weg gemacht. Aber wohin? Was passiert denn jetzt? Während wir ahnungslos dem Schwarm folgen sprechen wir über den türkischen Nationalismus und wie heutzutage der Bogen von Vergangenheit und Zukunftsvision gespannt und konstruiert wird. Auf einmal rennt uns jemand hinterher und tippt Ernesto an die Schulter: „Halt! Wer bist du? Woher kommst du?“ Wir stehen vor zwei Polizeimännern. Eingekleidet als würden sie sich für eine Schlacht und Unruhen vorbereiten. „Mein Name ist Ernesto. Ich wohne hier in Antalya. Ich bin Student“, antwortet er im flüssigen Türkisch und in einem Ton, das ich mich frage, ob solche Situationen ihm oft passieren. „Ausweis!“. Der Ton der Polizei wird harscher. „Hab ich nicht. Der ist Zuhause.“ – „Warum ist der Zuhause? Wer bist du?“, fragt er weiter und bleibt ausschließlich auf Ernesto fokussiert. „Anscheinend strahle ich mit meinen Touristenlook nicht genügend Gefahr aus“, denke ich mir, um meine Nichtbeachtung zu erklären und nutze diese Position als strategisches Kalkül: „Er gehört zu mir. Wir können kein Türkisch. Er ist aus Uruguay und ich aus Deutschland. Wir kennen uns aus einem Sprachkurs in Ankara und studieren in der Türkei. Hier ist mein Studentenausweis.“ Mein Einwurf scheint entwaffnend. Dem kurzen Blick auf meinen Ausweis folgt ein verachtender Zischlaut und der Aufforderung, dass wir weitergehen sollen. Dem gehorchen wir gerne und entfernen uns schnell, während uns ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft. „Mann, ohne dich hätte ich heute eine Nacht auf der Wache verbracht. Danke, Mann.“ Viel gemacht habe ich ja nicht, aber das hat schon gereicht. Lesson learned today: (1) Nicht mehr auf der Straße über Politik reden, (2) immer einen Ausweis dabei haben und (3) der Polizei gleich deutlich machen, dass du ein unschuldiger Tourist bist.

Sonntag, 28. Oktober 2012

Türkische Hochzeit




 Ein knistern in der Luft zerschneidet die Stille an diesem Morgen, an dem ich mit einer Tasse Tee auf dem Balkon stehe und des Nachbars Ziegen beobachte. „Knack, knack, knack“. Es folgt eine 3-tonige Melodie aus gigantischen Lautsprechern, die an Luftangriff-Warnsysteme erinnern. „Ich möchte Sie daran erinnern, dass  Familie XY heute Abend Ihre Hochzeit im Dorfzentrum feiert. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Außerdem möchten wir Familie YZ daran erinnern Ihre Stromrechnung zu bezahlen. Vielen Dank!“. Mit einem abermaligen Knack-Geräusch wird der Hörer wieder aufgelegt und es kehrt wieder die bekannte Stille im Dorf ein. „Was war das denn?“ – „Was? Ach das! Ja, das ist unser Informationssystem. Weißt du, es lohnt sich nicht hier eine Zeitung zu drucken. Und so bekommen wir Dinge mit. Wie du gehört hast, werden hier auch Leute an Zahlungen erinnert. Dann weiß das gleich das ganze Dorf!“, sagt Mehmet mit einem Grinsen, das verrät, dass er sichtlichen Spaß an Dorf-Gossip hat. „Achja, und heute Abend. Diese Hochzeit: Da ist das ganze Dorf eingeladen. Du kannst gerne mitkommen!“.
Gast auf einer echten türkischen Hochzeit. Das ist wohl sicherlich ein Highlight meines Trips. 


Ich betrete das Dorfzentrum und schwimme sogleich in Musik. Vielleicht trifft es der Ausdruck Lärm besser. Denn in der Mitte des Saales stapeln sich neben der Liveband riesige Boxentürme, die 10 solcher Räume beschallen könnten. Und als wäre das nicht genug, gibt es einen Trommler, der dem rhythmischen Bass nochmals verstärkt Eindruck gibt und dabei alles, aber auch wirklich alles übertönt.
So unterschiedlich die Bräuche sind, so ähnlich sind ihre Gäste: Auch hier gibt es die pubertären Jugendlichen, die sich ganz an den Rand des Raumes setzen, um sich ja von den ganzen anderen Menschen und Familien abzugrenzen. Ihre frisch definierte Weiblichkeit firmieren die Mädchen in rosa Jeans und rosa Smartphones – der eigentlichen Attraktion an diesem Abend für sie. Auch hier gibt es die etwas unbeholfeneren Menschen, die einen 5-Nummern-zu –großen Anzug tragen und Kinder, denen die Feierlichkeit völlig egal ist und stattdessen zwischen den Tischen Fangen spielen.
Doch beim Tanz mischt sich alles. Männer mit Anzug, Männer Kapuzenpullover – bei einem türkischen Tanz haben alle das gleiche Grinsen von Glückseligkeit im Gesicht. Zuerst ist der Bräutigam traditionell mit seinem Trauzeugen alleine bei Tanz. Nach wenigen Sekunden dürfen dann die nahen Freunde hinzukommen und so weitet sich der Kreis, bis die Bühne voll von Männern ist. Nach diesen 15-min Liedern bestehend aus 100 Dezibel und den Schlägen des Trommlers, darf die Braut dasselbe machen. Um dem jeweiligen Tanzenden Glück zu wünschen kommen die neu hinzutretenden mit Geldscheinen auf die Bühne. Sie streifen das Geld über den Kopf des zu Beglückwünschenden und legen es anschließend in einen großen Topf. Das Brautpaar scheint mit der ganzen Situation minimal überfordert zu sein. Der segelohrige Bräutigam dürfte Anfang/Mitte 20 sein und wirkt alles andere als Reif für eine Hochzeit. Man kann förmlich spüren, dass die Gründe für eine Hochzeit hier andere sind wie in unserer Kultur.
Aus dem Geldtopf wird anschließend die Hochzeitstorte bezahlt. Auf jede Ebene wird Geld gelegt und anschließend symbolisch angeschnitten. Braut und Bräutigam füttern sich anschließend vor laufender Kamera, bevor der Konditor seine Aufgabe als Kuchenverteiler gerecht werden darf. Anschließend bekommt das Paar vom Bürgermeister rote Schleifen verteilt, an welche die Gäste nun die großen Summen an Geld anpinnen dürfen und dem Paar Glück wünschen können. Ein wirklich toller Brauch. „Ich wette die machen heute sogar noch Profit aus der Hochzeit!“, meint Mehmet und deutet auf die Schlange von ca. 40 Menschen, die fast alle 50 TL-Scheine in der Hand haben (20€).
Nach 2 Stunden ist das Spektakel auch schon wieder vorbei. 80% der Gäste verlassen den Raum. Uns eingeschlossen. „Das war heute eine sehr ruhige Hochzeit. Normalerweise ist mehr Bewegung. Aber die schlechte Musik hat vieles kaputt gemacht.“ Ja, als kaputt kann ich auch mein Ohr, das der Musik zugewandt war, bezeichnen. Nichtsdestotrotz will ich dieses Erlebnis nicht missen!

Samstag, 27. Oktober 2012

Benjamin abi!




Lang ist's her. Deutschland (1995)
Hier endet also mein Plan. In den Armen von Mehmet. Wie lange haben wir uns schon nicht mehr gesehen? 5, 10 Jahre? „Nein, nein, kannst du dich nicht mehr erinnern? Es sind vielleicht 3 Jahre“, sagt er und zieht seine Augenbrauen in tiefe Falten als er sich daran erinnert. Mehmet hat vielleicht eine Hosenweite und ein paar Falten mehr bekommen, aber im Kern ist er noch der, den ich aus unseren ersten Türkeiaufenthalten kenne. Der deutschsprachige Animateur aus dem Hotel, der schnell ein Freund unserer Familie wurde, der über mehrere Jahre jeden Winter bei uns in Deutschland lebte und bei meinem Onkel arbeiten konnte und mit dem Geld, das er verdiente in seinem Ort ein Geschäft aufmachte, mit dem er erfolgreich werden sollte. Mehmet, eine gute Seele mit Schlitzohrcharakter.
Atatürk in Stein gemeiselt (Antalya)
„Los, steig‘ ein! Wir fahren gleich los. Meine Frau hat schon das Essen gemacht und es ist ein weiter Weg.“ Wir fahren aus Antalya heraus, der Stadt, über die Mustafa Kemal gesagt hat, dass sie wohl eines der schönsten Städte der Welt ist. Über diese kleine Randbemerkung sind die Antalyaner so stolz, dass sie sogleich einen Mount Atatürk erbauen mussten.
Mehmet wohnt mit seiner Frau und seinen zwei Söhnen (8) und (11) in einem Dorf nahe Kemer. Was vor 10 Jahren noch ein Dorf war, ist heute eine Schaubühne für Touristenpaläste. Die Hauptstraße gleicht einer Einkaufsmeile und bietet Platz für tausende von Menschen. An den Schaufenstern der Kleidergeschäfte hat sich auch einiges verändert. „Jaja, früher war hier vieles sogar noch auf Deutsch. Das kann man heute nicht mehr so oft finden. Aber russisch, ja, russisch ist heute überall. Mit Russen machen wir heute Geschäfte! Und auch morgen noch!“. Aber was mache ich hier eigentlich? Ich hoffe mal wieder auf ein Abenteuer. Ein paar Tage in einer türkischen Familie erleben, in der der einzige der türkisch oder englisch kann, so gut wie nie Zuhause ist, weil er sein Geschäft leiten muss. Ein paar Tage Verzweiflung. Vielleicht ist es das, was ich insgeheim suche. Denn nach wenigen Minuten merke ich bereits, dass meine Sprachkenntnisse einfach nicht ausreichen.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
„Was willst du denn hier machen?“, fragt mich Mehmet nach wenigen Minuten. „Keine Ahnung ehrlich gesagt. Gibt es denn hier etwas Schönes zu machen?“. „Also, naja. Wir haben hier das Meer. Aber das ist vielleicht jetzt ein bisschen kühl. Und sonst… Nein, sonst gibt es hier nichts“. „Mh, ok, ich werde vielleicht morgen ein bisschen die Gegend erkunden.“ „Kein Problem. Du kannst ein Auto von mir haben und ich gebe dir Melih mit. Er kann dir die Gegend zeigen und dir helfen.“ Und so entstand mein neuer Titel: Benjamin abi oder bey abi (großer Bruder Benjamin / Herr großer Bruder).
Aus dem 1-Mann-Projekt eines Reisenden wurde auf einmal ein Babysitter Job mit Verständigungsproblemen. Gleich nach 2 Stunden darf ich meine neue Berufung ausprobieren. „Wir sind noch bei den Nachbarn eingeladen. Wir kommen nachher wieder. Aber die Kinder können dir ja das Dorf zeigen und so.“ Aha, und wer passt jetzt auf wen auf? Zwei sich raufende Kinder zu beaufsichtigen ist kein Spaß, zwei sich raufende Kinder zu beaufsichtigen, deren Sprache man nicht spricht, macht es nicht besser und wenn diese zwei dann selbst eine rumstehende Axt als neues Spielzeug zum Kämpfen ausmachen, dann bekommt das alles einen sehr brenzligen Charakter.
Irgendwann kommt dann auch dieser Zeitpunkt, an dem man selbst Ziel ihrer Machtdemonstrationen wird. Was hält dieser Benjamin aus? Wie viel macht er mit? Ganz einfache Bestimmung der Hierarchie. Der Siedepunkt ist erreicht als sie mir so lange am Ohrläppchen ziehen bis nur noch ein lauter Schrei die Situation beenden kann. Nachdem die Ordnung der Dinge fürs erste wiederhergestellt ist, werde ich in die Eigentümlichkeiten des Dorflebens eingewiesen: Die Dorferkundungstour sieht so aus, dass ich Melihs (11) Elektroroller fahre, er hinter mir sitzt und die Richtung bestimmt, während ich sowohl den Roller als auch Semih (8) zwischen meinen Beinen im Gleichgewicht halten muss. Langsam vergesse ich, dass es in Europa üblich war einen Helm zu tragen. Sicherheit wird sowie so chronisch überbewertet. Nur ein Tipp bekomme ich von Mehmet, kurz bevor mich der 8-jährige Sohnemann anschließend mit Papas Auto zur Hauptstraße fährt: „Die Straßen können gefährlich sein. Wenn du grün hast, heißt das nicht, dass die anderen nicht fahren. Also immer schauen. Man kann hier nie wissen, was die anderen machen“. Ab hier soll/darf/muss ich selbst fahren. Mehmet will nicht, dass sein 11-jähriger Sohn auf den großen Straßen mit seinem Auto fährt. „Ach, das ist aber rücksichtsvoll“, denke ich und steige ein klein wenig nervös in die mit Erdgas betriebene Klappermühle, deren dritter Gang und  Tempo-Anzeige kaputt sind. Nun denn: Gute Fahrt! 

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Alle Wege führen nach Pamukkale



Irgendwie scheint die Türkei doch zu klein für 40 Leute aus dem Ankara Sprachkurs zu sein. Während ich meine französischen Freunde in Ephesus getroffen habe und meine griechischen Freunde in einem kleinen Bus-Büro in Izmir, so treffe ich jetzt die Franzosen wieder an einer Bushaltestelle kurz vor Pamukkale. „Nun gut. Das Schicksal hat es so gewollt: Ich werde heute mit euch den Tag verbringen!“.  Während meine neugierige Art und Weise bei den 7 deutschen Freunden gestern noch auf Verwirrung stieß („Hast du eine Ahnung was das das ist? Das habe ich jetzt schon mehrmals gesehen und ich weiß nicht warum es da ist.“ – „Benjamin, du bist der neugierigste Mensch, den ich kenne. Keine Ahnung, was das ist. Und ich habe auch noch nie daran gedacht!“), werde ich von meinen französischen Freunden anders empfangen: „Es ist toll mit dir zu reisen, weil du aus jeder Kleinigkeit eine tolle Geschichte machen kannst.“ – „Wie meinst du das?“ – „Na, zum Beispiel bei diesen Hamam-Ruinen. Ich dachte am Anfang nur so: ‚Aha. Ein weiterer Haufen Steine.‘ Bis du dann erzählt hast wie riesig die Heizungsanlagen hierfür gewesen sein müssen und wie das dann alles hier aussah. Und außerdem weißt du immer, wo wir gerade sind und wo wir hin müssen.“ Leicht errötet verweise ich auf Wikitravel und andere Internetquellen, die dafür verantwortlich sind, dass ich Infos über die Sehenswürdigkeiten habe.
In Pamukkale angekommen erwartet uns ein Naturspektakel sondergleichen. Mitten aus dem Nichts erscheinen weiße Berge. Was auf den ersten Blick wie eine dicke Schneedecke aussieht, ist tatsächlich einfach nur eine Kalksteinablagerung aus den heißen Quellen des Berges. In terpentinenartigen Formationen sammelt sich das Wasser in kleineren Becken. Ein Schlaufuchs, wer vermutet, dass hier die alten Römer ihre Finger im Spiel hatten. Fast überall wo heiße Quellen sind, waren früher einmal Römersiedlungen. Und die bizarren Kalkformationen machten diesen Standort für die Römer nicht gerade weniger attraktiv.
Den tollen Tag lassen wir anschließend in einem türkischen Teehaus ausklingen. Während man in türkischen Diskotheken ohne weibliche Begleitung keinen Eintritt erhält, ist es in Teehäusern so, dass sie für Frauen verboten sind. Teetrinken und Karten- und Brettspiele spielen – das ist (anscheinend) Männersache. Aber Pamukkale ist so touristisch, dass wir dieses Verbot bewusst einfach mal ignorieren und uns gemeinsam in ein Teehaus setzen. Die Reaktionen sind gemischt, doch es sagt keiner etwas. Als wir dann nach Kartenspielen fragen, kommt es sogar zu einer überraschenden Wendung. Der Besitzer des Teehauses setzt sich ohne zu fragen zu uns und verteilt die Karten. Jetzt wird gespielt! Die Regeln werden gelernt, während wir ein ums andere Mal verlieren. „Irgendwie glaube ich, dass er die Regeln gerade so verändert wie er will“, meint Mattheu zu mir. „Es ist ein türkisches Spiel. Natürlich gibt es hier keine festen Regeln!“.
Die Karten fliegen gerade so auf den Tisch. Und bei jedem Ablegen muss man auf den Tisch hauen. Ja, Emotionen gehören dazu. Das lernen wir schnell. Wenn man gewinnt, wird gejubelt, wenn man verliert, wird geflucht! (…oder die Regel verändert) Und ganz nebenbei wird versucht mit unseren französischen Mädchen Heiratspläne zu machen. „Wir können ja heiraten! Was sagst du?“, fragt der Teehausbesitzer in einem Ton, bei dem wir nicht wissen wie ernst das jetzt gemeint war. „Ähm. Nein Danke“ – „Nein, nein. Ich will nur nach Europa kommen, dann können wir uns wieder scheiden lassen. Was sagst du also? Kein Problem, oder?“ – „Nein. Ich verstehe nicht.“ Wir versuchen diese Diskussion gekonnt zu unterbinden, indem wir unsere ‚Ich verstehe nicht‘-Rolle spielen. Das klappt oft ziemlich gut. Und auch hier sollte es klappen, denn er beginnt sofort mit einem anderen Thema: „Heute ist Bajram. Wisst ihr oder? Das Opferfest!“, voller Stolz hebt er seinen Zeigefinger als wolle er jetzt große Worte folgen lassen: „Ich habe heute 32 Schafe geköpft! Zack!“, ahmt er lautmalerisch die Bewegung eines Henkers nach. „Oha. 32 Schafe!“ antwortet einer von uns, doch wir wissen alle nicht wirklich, ob wir davon begeistert oder angewidert sein sollen. Nun denn, zum Glück haben wir das Kartenspiel, das dieses bedrückende Schweigen überbrücken kann. Und das klappt zum Glück hervorragend.

Innerhalb von 15 min wird unser Tisch zur Attraktion! Immer mehr Türken kommen hinzu um zu sehen wie die Europäer sich im Kartenspiel schlagen. Manch einer hilft uns, manch einer verrät den anderen unsere Karten. So ist das nunmal. Mal verlierst du, mal gewinnen die anderen. Auch Mattheu zieht dieses Fazit, nachdem er ein weiteres Mal verloren hat, ohne zu verstehen warum: „Wie im wahren Leben…“