Sonntag, 28. Oktober 2012

Türkische Hochzeit




 Ein knistern in der Luft zerschneidet die Stille an diesem Morgen, an dem ich mit einer Tasse Tee auf dem Balkon stehe und des Nachbars Ziegen beobachte. „Knack, knack, knack“. Es folgt eine 3-tonige Melodie aus gigantischen Lautsprechern, die an Luftangriff-Warnsysteme erinnern. „Ich möchte Sie daran erinnern, dass  Familie XY heute Abend Ihre Hochzeit im Dorfzentrum feiert. Wir wünschen Ihnen alles Gute. Außerdem möchten wir Familie YZ daran erinnern Ihre Stromrechnung zu bezahlen. Vielen Dank!“. Mit einem abermaligen Knack-Geräusch wird der Hörer wieder aufgelegt und es kehrt wieder die bekannte Stille im Dorf ein. „Was war das denn?“ – „Was? Ach das! Ja, das ist unser Informationssystem. Weißt du, es lohnt sich nicht hier eine Zeitung zu drucken. Und so bekommen wir Dinge mit. Wie du gehört hast, werden hier auch Leute an Zahlungen erinnert. Dann weiß das gleich das ganze Dorf!“, sagt Mehmet mit einem Grinsen, das verrät, dass er sichtlichen Spaß an Dorf-Gossip hat. „Achja, und heute Abend. Diese Hochzeit: Da ist das ganze Dorf eingeladen. Du kannst gerne mitkommen!“.
Gast auf einer echten türkischen Hochzeit. Das ist wohl sicherlich ein Highlight meines Trips. 


Ich betrete das Dorfzentrum und schwimme sogleich in Musik. Vielleicht trifft es der Ausdruck Lärm besser. Denn in der Mitte des Saales stapeln sich neben der Liveband riesige Boxentürme, die 10 solcher Räume beschallen könnten. Und als wäre das nicht genug, gibt es einen Trommler, der dem rhythmischen Bass nochmals verstärkt Eindruck gibt und dabei alles, aber auch wirklich alles übertönt.
So unterschiedlich die Bräuche sind, so ähnlich sind ihre Gäste: Auch hier gibt es die pubertären Jugendlichen, die sich ganz an den Rand des Raumes setzen, um sich ja von den ganzen anderen Menschen und Familien abzugrenzen. Ihre frisch definierte Weiblichkeit firmieren die Mädchen in rosa Jeans und rosa Smartphones – der eigentlichen Attraktion an diesem Abend für sie. Auch hier gibt es die etwas unbeholfeneren Menschen, die einen 5-Nummern-zu –großen Anzug tragen und Kinder, denen die Feierlichkeit völlig egal ist und stattdessen zwischen den Tischen Fangen spielen.
Doch beim Tanz mischt sich alles. Männer mit Anzug, Männer Kapuzenpullover – bei einem türkischen Tanz haben alle das gleiche Grinsen von Glückseligkeit im Gesicht. Zuerst ist der Bräutigam traditionell mit seinem Trauzeugen alleine bei Tanz. Nach wenigen Sekunden dürfen dann die nahen Freunde hinzukommen und so weitet sich der Kreis, bis die Bühne voll von Männern ist. Nach diesen 15-min Liedern bestehend aus 100 Dezibel und den Schlägen des Trommlers, darf die Braut dasselbe machen. Um dem jeweiligen Tanzenden Glück zu wünschen kommen die neu hinzutretenden mit Geldscheinen auf die Bühne. Sie streifen das Geld über den Kopf des zu Beglückwünschenden und legen es anschließend in einen großen Topf. Das Brautpaar scheint mit der ganzen Situation minimal überfordert zu sein. Der segelohrige Bräutigam dürfte Anfang/Mitte 20 sein und wirkt alles andere als Reif für eine Hochzeit. Man kann förmlich spüren, dass die Gründe für eine Hochzeit hier andere sind wie in unserer Kultur.
Aus dem Geldtopf wird anschließend die Hochzeitstorte bezahlt. Auf jede Ebene wird Geld gelegt und anschließend symbolisch angeschnitten. Braut und Bräutigam füttern sich anschließend vor laufender Kamera, bevor der Konditor seine Aufgabe als Kuchenverteiler gerecht werden darf. Anschließend bekommt das Paar vom Bürgermeister rote Schleifen verteilt, an welche die Gäste nun die großen Summen an Geld anpinnen dürfen und dem Paar Glück wünschen können. Ein wirklich toller Brauch. „Ich wette die machen heute sogar noch Profit aus der Hochzeit!“, meint Mehmet und deutet auf die Schlange von ca. 40 Menschen, die fast alle 50 TL-Scheine in der Hand haben (20€).
Nach 2 Stunden ist das Spektakel auch schon wieder vorbei. 80% der Gäste verlassen den Raum. Uns eingeschlossen. „Das war heute eine sehr ruhige Hochzeit. Normalerweise ist mehr Bewegung. Aber die schlechte Musik hat vieles kaputt gemacht.“ Ja, als kaputt kann ich auch mein Ohr, das der Musik zugewandt war, bezeichnen. Nichtsdestotrotz will ich dieses Erlebnis nicht missen!

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