Ein knistern in der Luft zerschneidet die Stille an diesem
Morgen, an dem ich mit einer Tasse Tee auf dem Balkon stehe und des Nachbars
Ziegen beobachte. „Knack, knack, knack“. Es folgt eine 3-tonige Melodie aus
gigantischen Lautsprechern, die an Luftangriff-Warnsysteme erinnern. „Ich
möchte Sie daran erinnern, dass Familie
XY heute Abend Ihre Hochzeit im Dorfzentrum feiert. Wir wünschen Ihnen alles
Gute. Außerdem möchten wir Familie YZ daran erinnern Ihre Stromrechnung zu
bezahlen. Vielen Dank!“. Mit einem abermaligen Knack-Geräusch wird der Hörer
wieder aufgelegt und es kehrt wieder die bekannte Stille im Dorf ein. „Was war
das denn?“ – „Was? Ach das! Ja, das ist unser Informationssystem. Weißt du, es
lohnt sich nicht hier eine Zeitung zu drucken. Und so bekommen wir Dinge mit.
Wie du gehört hast, werden hier auch Leute an Zahlungen erinnert. Dann weiß das
gleich das ganze Dorf!“, sagt Mehmet mit einem Grinsen, das verrät, dass er
sichtlichen Spaß an Dorf-Gossip hat. „Achja, und heute Abend. Diese Hochzeit:
Da ist das ganze Dorf eingeladen. Du kannst gerne mitkommen!“.
Ich betrete das Dorfzentrum und schwimme sogleich in Musik.
Vielleicht trifft es der Ausdruck Lärm besser. Denn in der Mitte des Saales
stapeln sich neben der Liveband riesige Boxentürme, die 10 solcher Räume
beschallen könnten. Und als wäre das nicht genug, gibt es einen Trommler, der
dem rhythmischen Bass nochmals verstärkt Eindruck gibt und dabei alles, aber
auch wirklich alles übertönt.
So unterschiedlich die Bräuche sind, so ähnlich sind ihre
Gäste: Auch hier gibt es die pubertären Jugendlichen, die sich ganz an den Rand
des Raumes setzen, um sich ja von den ganzen anderen Menschen und Familien abzugrenzen.
Ihre frisch definierte Weiblichkeit firmieren die Mädchen in rosa Jeans und
rosa Smartphones – der eigentlichen Attraktion an diesem Abend für sie. Auch
hier gibt es die etwas unbeholfeneren Menschen, die einen 5-Nummern-zu –großen
Anzug tragen und Kinder, denen die Feierlichkeit völlig egal ist und
stattdessen zwischen den Tischen Fangen spielen.
Doch beim Tanz mischt sich alles. Männer mit Anzug, Männer
Kapuzenpullover – bei einem türkischen Tanz haben alle das gleiche Grinsen von
Glückseligkeit im Gesicht. Zuerst ist der Bräutigam traditionell mit seinem
Trauzeugen alleine bei Tanz. Nach wenigen Sekunden dürfen dann die nahen
Freunde hinzukommen und so weitet sich der Kreis, bis die Bühne voll von
Männern ist. Nach diesen 15-min Liedern bestehend aus 100 Dezibel und den
Schlägen des Trommlers, darf die Braut dasselbe machen. Um dem jeweiligen
Tanzenden Glück zu wünschen kommen die neu hinzutretenden mit Geldscheinen auf
die Bühne. Sie streifen das Geld über den Kopf des zu Beglückwünschenden und
legen es anschließend in einen großen Topf. Das Brautpaar scheint mit der
ganzen Situation minimal überfordert zu sein. Der segelohrige Bräutigam dürfte
Anfang/Mitte 20 sein und wirkt alles andere als Reif für eine Hochzeit. Man
kann förmlich spüren, dass die Gründe für eine Hochzeit hier andere sind wie in
unserer Kultur.
Aus dem Geldtopf wird anschließend die Hochzeitstorte
bezahlt. Auf jede Ebene wird Geld gelegt und anschließend symbolisch
angeschnitten. Braut und Bräutigam füttern sich anschließend vor laufender
Kamera, bevor der Konditor seine Aufgabe als Kuchenverteiler gerecht werden
darf. Anschließend bekommt das Paar vom Bürgermeister rote Schleifen verteilt,
an welche die Gäste nun die großen Summen an Geld anpinnen dürfen und dem Paar
Glück wünschen können. Ein wirklich toller Brauch. „Ich wette die machen heute
sogar noch Profit aus der Hochzeit!“, meint Mehmet und deutet auf die Schlange
von ca. 40 Menschen, die fast alle 50 TL-Scheine in der Hand haben (20€).
Nach 2 Stunden ist das Spektakel auch schon wieder vorbei.
80% der Gäste verlassen den Raum. Uns eingeschlossen. „Das war heute eine sehr
ruhige Hochzeit. Normalerweise ist mehr Bewegung. Aber die schlechte Musik hat
vieles kaputt gemacht.“ Ja, als kaputt kann ich auch mein Ohr, das der Musik
zugewandt war, bezeichnen. Nichtsdestotrotz will ich dieses Erlebnis nicht
missen!
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