Nachdem ich mich durch 8 Stunden Busfahrt neben Kindern, die
abwechselnd geschnarcht und geschrien haben, auf unbequemen Sitzen ohne Schlaf
durchgequält habe, habe ich es endlich geschafft: Hos geldniniz Izmir’de!
Saat kulesi Izmir'de |
Da wäre ich also. Kopfkratzend frage ich mich: „Was macht
ich hier nochmal? Achso, ja! Ich habe Ferien.“ Hier ist Bajram, eines der
wichtigsten Feste im Islam. Während meine Freunde sich alle in Grüppchen
zusammengefunden haben, wusste ich, dass das nichts für mich ist. Wie will man
denn Land & Leute erkunden, wenn man als Gruppe unterwegs ist? Ich
entschied mich am Sonntag in ein Reiseunternehmen zu gehen, wahllos auf einen
Punkt auf der Landkarte zu deuten und zu sagen: da will ich hin. Die Wahl fiel
auf Izmir. „Gute Wahl!“, denke ich mir und beginne meine sich zögerliche
entwickelnde Spontanität langsam zu mögen.
Gerade weil ich von anderen gehört habe, dass Izmir „sich
nicht lohnt“, ziehe ich mit offenen Ohren und Augen durch die Stadt, um Dinge
zu entdecken, die anderen verborgen blieben. Izmir ist aber sogar ganz
offensichtlich bezaubernd anders. Palmenboulevards wie in Florida, Berge, die
die Bucht majestätisch umrahmen und Saft. Ja, Saft! In der Türkei kann das
Auffinden von Saft tatsächlich zum Highlight einer Reise werden. Statt der
üblichen Cola und der Milch, gibt es hier frisch gepressten Granatapfelsaft für
50 Cent. Wow. Sichtlich zufrieden schlendere ich durch die vielen kleinen Gassen
des Bazars und auf der Suche nach Nichts finde ich Gastfreundlichkeit und viele
Gesprächspartner, die mir viel über das echte Izmir erzählen. Stolz erzählt mir
Süleyman, bei dem ich später auf der Couch einen Schlafplatz finden werde, dass Izmir die letzte Großstadt ist, deren
Kultur sich gegen die konservativen Werte von der AKP Regierung wehrt. In
meinen 2 Tagen Aufenthalt kann ich nicht eine Frau mit Kopftuch hier ausmachen. Izmir, die
letzte Bastion des Säkularismus.
"Gel tat" - Geheimtipp für Feinschmecker |
Und erst das Essen: Ich werde von Süleyman in ein kleines
Restaurant geführt. Ich glaube „rosa“ würde die Atmosphäre dort ganz gut
beschreiben. Hier gibt es noch echte Hausmannskost. Lecker und jeden Tag
anders. Stolz erzählt die Besitzerin mir, dass sie selbst die Leute in Berlin
für ihre Küche begeistern konnte und dort ebenfalls ein Lokal ("Gel Tat") aufgemacht hat.
Aber nicht nur für das Essen ist Izmir berühmt. „Du musst
wissen, Benjamin. Es heißt: Die schönsten Mädchen der Türkei kommen aus Izmir.
Das mag daran liegen, dass hier so viele westlich orientiert sind und das
Äußere besonders wichtig ist. Aber es gibt auch noch ein Sprichwort dazu: Traue
niemals dem Wetter und den Mädchen von Izmir. Beide sind so wechselhaft, dass
du nie wissen kannst, was als nächstes kommt“. Sein schelmisches Grinsen zeigt
mir, dass er sehr wohl weiß wovon er spricht. Und zumindest von der
Wechselhaftigkeit des Wetters kann ich behaupten, dass er dabei nicht
untertrieben hat.
Wie angenehm flexibel das Reisen alleine ist, merke ich aber
erst, als ich am nächsten Tag Freunde aus dem Sprachkurs in Ankara in Izmir
wiedertreffe. In einer Gruppe von 8 Leuten sind wir tatsächlich mehr im
„Standby-mode“ als das wir laufen. Und immer wieder werde ich zurückgepfiffen:
„Benjamin! Warte mal! Die anderen sind noch….“. Ich kann mir nichts Langsameres
vorstellen, als mit 5 Mädels über einen Bazar zu laufen. Interessant ist auch
diese dabei entstehende Verantwortungsdiffusion: „Wo sind wir denn jetzt?“-„Ja,
keine Ahnung. Ich dachte du weißt den Weg?“-„Was? Ich? Ich in dem dort doch nur
gefolgt!“-„Öhm, aber ich habe auch keine Ahnung. Ich glaube wir sind hier
falsch“.
Wie fatal Verantwortungsdiffusion in Gruppen sein kann,
spüren wir am Abend, als wir 3 Jungs uns
in ein Café davon stehlen und die Mädels nach ihrer Shoppingtour dazu stoßen.
Als eines der Mädels von der Toilette wieder an unseren Tisch kommt und
bemerkt: „Na, wer hat meine Handtasche da weg?“ Es sollte sich herausstellen,
dass eine Frau wenige Sekunden zuvor in das Café gelaufen ist, ihre Tasche
aufgehoben hat und davon spaziert ist. Darin enthalten: 100€, Smartphone,
Reisepass, 2 Digitalkameras und die Autoschlüssel ihres gerade eben erst
gemieteten Autos. Und keiner von uns 7 hat etwas bemerkt. Nur dem Nachbartisch
ist diese Frau aufgefallen, weil sie so eilig das Café verlassen hat. Die
Tasche haben wir und später die Polizei nicht mehr finden können. Alles weg.
Ich denke ich mach mich dann auch mal aus dem Staub. Mich zieht es weitere
700km in den Osten.
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