Mittwoch, 24. Oktober 2012

Bajramlar - Hin und Weg



Nachdem ich mich durch 8 Stunden Busfahrt neben Kindern, die abwechselnd geschnarcht und geschrien haben, auf unbequemen Sitzen ohne Schlaf durchgequält habe, habe ich es endlich geschafft: Hos geldniniz Izmir’de!
Saat kulesi Izmir'de

Da wäre ich also. Kopfkratzend frage ich mich: „Was macht ich hier nochmal? Achso, ja! Ich habe Ferien.“ Hier ist Bajram, eines der wichtigsten Feste im Islam. Während meine Freunde sich alle in Grüppchen zusammengefunden haben, wusste ich, dass das nichts für mich ist. Wie will man denn Land & Leute erkunden, wenn man als Gruppe unterwegs ist? Ich entschied mich am Sonntag in ein Reiseunternehmen zu gehen, wahllos auf einen Punkt auf der Landkarte zu deuten und zu sagen: da will ich hin. Die Wahl fiel auf Izmir. „Gute Wahl!“, denke ich mir und beginne meine sich zögerliche entwickelnde Spontanität langsam zu mögen.
Gerade weil ich von anderen gehört habe, dass Izmir „sich nicht lohnt“, ziehe ich mit offenen Ohren und Augen durch die Stadt, um Dinge zu entdecken, die anderen verborgen blieben. Izmir ist aber sogar ganz offensichtlich bezaubernd anders. Palmenboulevards wie in Florida, Berge, die die Bucht majestätisch umrahmen und Saft. Ja, Saft! In der Türkei kann das Auffinden von Saft tatsächlich zum Highlight einer Reise werden. Statt der üblichen Cola und der Milch, gibt es hier frisch gepressten Granatapfelsaft für 50 Cent. Wow. Sichtlich zufrieden schlendere ich durch die vielen kleinen Gassen des Bazars und auf der Suche nach Nichts finde ich Gastfreundlichkeit und viele Gesprächspartner, die mir viel über das echte Izmir erzählen. Stolz erzählt mir Süleyman, bei dem ich später auf der Couch einen Schlafplatz finden werde,  dass Izmir die letzte Großstadt ist, deren Kultur sich gegen die konservativen Werte von der AKP Regierung wehrt. In meinen 2 Tagen Aufenthalt kann ich nicht eine Frau mit Kopftuch hier ausmachen. Izmir, die letzte Bastion des Säkularismus.
"Gel tat" - Geheimtipp für Feinschmecker
Und erst das Essen: Ich werde von Süleyman in ein kleines Restaurant geführt. Ich glaube „rosa“ würde die Atmosphäre dort ganz gut beschreiben. Hier gibt es noch echte Hausmannskost. Lecker und jeden Tag anders. Stolz erzählt die Besitzerin mir, dass sie selbst die Leute in Berlin für ihre Küche begeistern konnte und dort ebenfalls ein Lokal ("Gel Tat") aufgemacht hat. 

Aber nicht nur für das Essen ist Izmir berühmt. „Du musst wissen, Benjamin. Es heißt: Die schönsten Mädchen der Türkei kommen aus Izmir. Das mag daran liegen, dass hier so viele westlich orientiert sind und das Äußere besonders wichtig ist. Aber es gibt auch noch ein Sprichwort dazu: Traue niemals dem Wetter und den Mädchen von Izmir. Beide sind so wechselhaft, dass du nie wissen kannst, was als nächstes kommt“. Sein schelmisches Grinsen zeigt mir, dass er sehr wohl weiß wovon er spricht. Und zumindest von der Wechselhaftigkeit des Wetters kann ich behaupten, dass er dabei nicht untertrieben hat.
Wie angenehm flexibel das Reisen alleine ist, merke ich aber erst, als ich am nächsten Tag Freunde aus dem Sprachkurs in Ankara in Izmir wiedertreffe. In einer Gruppe von 8 Leuten sind wir tatsächlich mehr im „Standby-mode“ als das wir laufen. Und immer wieder werde ich zurückgepfiffen: „Benjamin! Warte mal! Die anderen sind noch….“. Ich kann mir nichts Langsameres vorstellen, als mit 5 Mädels über einen Bazar zu laufen. Interessant ist auch diese dabei entstehende Verantwortungsdiffusion: „Wo sind wir denn jetzt?“-„Ja, keine Ahnung. Ich dachte du weißt den Weg?“-„Was? Ich? Ich in dem dort doch nur gefolgt!“-„Öhm, aber ich habe auch keine Ahnung. Ich glaube wir sind hier falsch“.
Wie fatal Verantwortungsdiffusion in Gruppen sein kann, spüren wir am Abend, als wir 3  Jungs uns in ein Café davon stehlen und die Mädels nach ihrer Shoppingtour dazu stoßen. Als eines der Mädels von der Toilette wieder an unseren Tisch kommt und bemerkt: „Na, wer hat meine Handtasche da weg?“ Es sollte sich herausstellen, dass eine Frau wenige Sekunden zuvor in das Café gelaufen ist, ihre Tasche aufgehoben hat und davon spaziert ist. Darin enthalten: 100€, Smartphone, Reisepass, 2 Digitalkameras und die Autoschlüssel ihres gerade eben erst gemieteten Autos. Und keiner von uns 7 hat etwas bemerkt. Nur dem Nachbartisch ist diese Frau aufgefallen, weil sie so eilig das Café verlassen hat. Die Tasche haben wir und später die Polizei nicht mehr finden können. Alles weg. Ich denke ich mach mich dann auch mal aus dem Staub. Mich zieht es weitere 700km in den Osten.

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