Mesut will nicht locker lassen.
Jeden Tag erhalte ich eine SMS, einen Anruf oder eine FB-Nachricht. Er zieht
alle Register, doch ich lasse alles unbeantwortet. Mittlerweile merke ich wie
es mich affektiert: In geduckter Haltung und Kapuzenpulli schleiche ich in die
Mensa meiner Uni ein. „Oh Gott, was ist, wenn ich ihm hier begegne? Was sag ich
denn da? Und vor allem wie krieg ich ihn wieder los?“. Ich denke der Begriff
Paranoia ist mittlerweile zutreffend.
Ich würge mein Essen in mich
hinein. Nur schnell raus hier. Ich habe das Gefühl, dass mich alle Menschen
anschauen und alle so aussehen wie Mesut: klein, dunkle Haare, dunklere Haut,
Stoppelbart. Nur ich falle hier auf wie ein bunter Clown mit meinen hellen Haaren.
Keine Chance mich zu verbergen.
In meinem Seminar angekommen,
frage ich die hinter mir befindliche Türkin, ob ich hier im richtigen Raum bin.
Noch während sie nickt setzt sich Erkan (*Name geändert) neben mich. „Ich kann
dir helfen!“. Nicht schon wieder…. Ist das euer Ernst? Ich muss diese Menschen
gerade zu anziehen. Ich lehne dankend ab und bin überaus gar nicht erfreut,
dass er den Anschein macht mit mir ein Erasmus-Gespräch anzufangen
(Erasmus-Gespräch: Woher kommst du? Was studierst du? Blablabla). Noch bevor er
richtig loslegen konnte mich nach Facebook und Handydaten zu fragen, kommt der
Lehrer rein. Endlich! Noch nie war ich so froh, dass der Unterricht beginnt.
Blöderweise habe ich keinen funktionierenden Stift dabei. Ich frage wieder die
hinter mir befindlichen Mädels, doch natürlich antwortet Erkan: „Ich kann dir
helfen, mein Freund“. Ach, jetzt sind wir also auch schon Freunde. Enttäuscht
holt er aus seiner Tasche einen Stift heraus. „Mh, das ist leider mein einziger“,
seufzt er vor sich hin, während ich mich sichtlich erleichtert wieder den
Mädels zuwende, die mir einen Stift reichen. Doch die folgende Aktion ist
buchstäblich für die Mentalität hier mit der ich nicht zu Recht komme: „Nein,
nimm bitte meinen Stift!“. Er hebt mir seinen Stift unter die Nase und greift
mit der anderen Hand den Stift des Mädchens um mit diesen seinen eigenen
Verlust auszugleichen. „Nein, nein, danke – aber das muss doch jetzt echt nicht
sein“, reagiere ich verzweifelt. Doch seine Antwort ist sowohl bestimmend als
charakteristisch: „Nein! Du bist Erasmus-Student! Ich muss dir helfen!“. Ich
geb’s auf. Meine Vorwände eine Sicherheitszone um meine Privatzone zu errichten,
haben ja hier nicht so gut geklappt. Ich renne gegen Wände. Wände die immer
näher kommen und mich zu zerquetschen drohen. Noch habe ich keine Idee wie man
sie aufhalten könnte.
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