Montag, 4. Februar 2013

Captain, my Captain!

Nichtsahnend schleppe ich mich mit meinen 2 Rucksäcken die Strandzufahrt in Samsun entlang. Ein graubärtiger Mann empfängt mich mit seinem starren Blick schon von weitem. „Good morning!“ nuschelt er, sodass ich zuerst nichts verstehe und reflexartig mit „Ich hab kein Geld“ antworte und ihn linksliegen lasse. „I said: good morning my friend!“ ruft er mir hinterher, sodass ich stehen bleibe und wir uns in ein Gespräch verwickeln. „Ich bin Ömer. Captain Ömer. Man kennt mich hier! Dort vorne ist ein Cafe, dort kennen sie mich auch. Lasst uns dahin gehen, sie werden uns einladen, du wirst sehen!“
Alleingängertrips wie den meinen sind genau für solche Situationen geschaffen. Einfach mal alle Pläne über den Haufen werfen und mit irgendeinem interessanten Kautz in ein Cafe gehen und seine Geschichte anhören. Denn so lernte ich Ömer – pardon: Captain(!) Ömer- kennen.
Er ist in Australien groß geworden und mit 19 Jahren erstmals in die Türkei gekommen. Er musste dort die Sprache und Kultur genauso wie ich lernen, da ihm seine Eltern kaum türkisch beigebracht hatten. In Samsun hat er dann sein erstes Geld verdient, was er mir im anschließenden Stadtrundgang eindrücklich vermittelt. „Hier habe ich gearbeitet,  dort das große Hotel, auch in diesem Hotel dort drüben, und ihr habe ich ganz früher Brötchen verkauft. Ja, auch das habe ich gemacht. Ich habe sehr viel gemacht und kenne sehr viele Leute. Du bist ein Glückspilz, dass du mich getroffen hast.“ Ich weiß noch nicht so recht, ob ich tatsächlich so ein Glückspilz bin, denn schließlich ist er mir ja hinterhergelaufen. „Hey du! Ali! Gib meinem deutschen Freund ein paar Kastanien. Er sieht hungrig aus“ ruft er einem Straßenverkäufer zu, der augenblicklich respektvoll gehorcht und ohne mit der Wimper zu zucken eine kleine Packung Kastanien als Geschenk reicht. „So, und jetzt gehen wir richtig essen. Ich kenne hier viele Leute, das musst du wissen. Viele Freunde hier. Man kennt mich. Ich bin Captain Ömer!“ Jaja, ich habe mittlerweile verstanden, dass dir der Titel Captain sehr wichtig und du sehr viele Leute kennst.
„Weil wir uns jetzt kennen gehörst du jetzt auch zu meiner Crew! Mein Haus soll dein Haus sein. Wann immer du Probleme hast, ruf mich an! So, und jetzt gehen wir richtig essen.“ 3 Ecken weiter führt er mich in eine belebte Einkaufstraße und dort in einen Aufzug in den 7 Stock in ein dementsprechend nobles Restaurant. „Pass auf, mein Freund!“ flüstert er mir noch zu, als er aus dem Fahrstuhl steigt und in wenigen Sekunden von ein paar Männern im Anzug umringt ist. Es stellt sich heraus, dass er fast alle Mitarbeiter inkl. des Chefs des Nobelrestaurants kennt und anscheinend ein gern gesehener Freund ist. „Setz dich! Der Chef wird dir das Beste bringen, was er hat.“ Und dieser lies keine 3 min auf sich warten. Der leere Platz an unserem 3er Tisch war sozusagen ganzzeitlich von verschiedenen Freunden von Ömer besetzt, Jeder wollte wissen, was ich hier mache, woher ich komme, woher ich Captain Ömer kenne. Lauter neugierige Nasen im Anzug, die auch mir schnell sympathisch waren.
Und so muss ich meine Geschichte ca. 10 Mal in 5 min wiederholen. Aber ich erfuhr auch einiges über Ömer. „Ich arbeite derzeit in einem Restaurant in Manavgat. An der Südküste der Türkei. Ich bin gerade nur hier, weil ich das alte Haus meines Vaters renovieren muss. Mein Bruder hilft mir dabei. Er hat schon zwei Mal angerufen, dass er ein Problem mit der Toilettenspülung hat, aber ich habe ihm gesagt, dass ich dich hier habe. Mein Bruder kann warten! Ja, …und außerdem mach ich Pornofilme.“ Du machst was? Das Statement kam aus heiterem Himmel und ich war nicht wirklich darauf vorbereitet. Naja, obwohl: Ich hätte es ahnen können. Irgendwas ist ja immer…. Es folgt betretendes Schweigen, weil er meine Reaktionen abwartet und ich noch überlege, ob ich das wirklich richtig verstanden habe und wie man eigentlich auf so etwas antwortet. Soll ich sagen: „Aha. Interessant, erzähl mir mehr.“ Oder sensibel auf dieses Tabuthema reagieren? Oder einfach nichts sagen? Der Restaurant Chef Bulut unterbricht die Stille, in dem er die dritte Portion Pommes bereitstellt, weil er sieht, dass diese mir besonders gut schmecken.
„Das ist ein toller Nebenverdienst und ich schlafe mit sehr vielen Frauen“, führt Captain Ömer anschließend ungefragt weiter aus. „Manchmal kommen sie zu immer und wollen unbedingt, aber ich kann auch nicht immer“, grinst er mich an, während er sein Pizzastück in alter Seemannsmanier mit der Gabel aufspießt und mit dem Pizzaboden nach oben in seinen Mund steckt.
2 Pizzen, 2 großen Salate, 1 Korb Olivenölbrot , 2 Cola und 3 Facebookfreundschaftsanfragen der Kellner und des Chefs später, spazieren wir aus dem Restaurant wieder heraus. Alles ging aufs Haus. Wir haben nichts davon zahlen müssen. „Ich sagte dir ja, dass das meine Freunde sind. Und jetzt sind es auch deine Freunde. Sie werden dir helfen, falls du sie brauchst! Sei gewiss!“
Captain Ömer, der Seemann, der Restaurantbesitzer, der Menschenfreund, der Frauenfreund und nicht zuletzt der Pornodarsteller war eine tolle und interessante Begegnung, die mir gezeigt hat, dass hinter mancher Profilneurose („Ich bin bekannt hier“) manchmal auch tatsächlich die Wahrheit stecken kann.

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