Sonntag, 10. Februar 2013

Im Falle des Restrisikos

„Oh Fuck…“, flüstert mein Reisegefährte Mohammed vor sich hin. Sein Gesicht wird weiß angestrahlt, sein Ausdruck blickt erstarrt in das Scheinwerferlicht zweier Lastwagen, die auf uns zu rasen. Wir stehen inmitten der Autobahn. Der Anhalter, der für uns gehalten hat, steht auf der rechten Spur und wir laden unsere Taschen ein, als ein Bus einen LKW Fahrer rechts überholen will und wieder nach links rüberzieht, kurz bevor er auf uns getroffen wäre. Wir haben uns diese Stelle nicht ausgesucht, nein, unglückliche Umstände haben uns zum Ausstieg aus einem LKW gebracht. Dieser hat 30km zuvor für uns angehalten, den Innenraum dunkelrot beleuchtet und die Heizung auf „unerträglich heiß“ eingestellt. „Wie heißt du denn, mein Mädchen“, fragt er Theresa mit einem widerwärtigen Lächeln. „Sie ist meine Frau“, fahre ich dazwischen. „Aha, verheiratet“. Schon nach diesen ersten Wortwechseln empfand ich die Situation mehr als unangenehm und aufgrund einiger schlechter Erfahrungen mit Truckern zu Abendzeiten, bin ich sehr vorsichtig geworden. Mohammed sitzt direkt neben ihm, ich in der Mitte und Theresa an der Außentür.
Die Situation war schwer zu deuten. War die Aufforderung des Truckers, dass Mohammed seine Schuhe ausziehen soll zur Vorsicht des Teppichs im Auto, oder, dass er nach hinten rutschen und damit Theresa näher kommen soll? Der zwielichtige Fahrer telefonierte in der Zwischenzeit mit einem Freund und ging davon aus, dass wir nichts verstehen, doch ich verstand genug, um noch vorsichtiger zu werden. Meine Vorsichtsmaßnahmen gingen dahingehend, dass ich zu meinem Handy griff und eine gute Freundin in Istanbul anrief, um ihm zu signalisieren, dass Leute wissen, wo ich bin. Das gefiel ihm sichtlich überhaupt nicht. „Da kommt ein Tunnel. Mach dein Handy aus, mach dein Handy aus!“ befahl er mir regelrecht. Ich wollte nicht hören und sagte zu meiner Telefonpartnerin lediglich, dass die Leitung zusammenbrechen könnte. Doch nichts geschah, sie blieb dran und er wurde ungeduldiger. Als er zu Mohammed schließlich sagte, dass wir beide nach hinten sitzen sollen und sich im selben Moment in den Schritt griff, war es endgültig so weit, dass unsere Toleranzgrenze überschritten wurde. „Hier wollen wir anhalten, unser Freund wartet dort.“ „Hier? Da kommt gleich ein Tunnel. Ich fahre weiter.“ Brenzlige Sekunden in denen die höchste (An-)Spannung in der Luft lag. Sekunden des Bangens. Wird er halten? Wird er uns frei lassen? Wie wird er reagieren? Ist er bewaffnet? Wie weit würde er gehen? „Hier jetzt bitte. Unser Freund wartet!“ spricht Mohammed jetzt mit entschlossener und bestimmender Stimme. Der Trucker reduziert sein Tempo langsam, ich atme auf und ebenso meine Gesprächspartnerin im fernen Istanbul. Inmitten der Nacht, inmitten der Autobahn, wo die Sterne das einzige Licht bilden, steigen wir aus. „Auf Wiedersehen. Und gute Reise!“ wünscht er uns und schüttelt uns seine ekligen Hände mit einem schelmischen Grinsen. Doch das einzige was ich hoffe, ist, dass wir uns nie wieder sehen!
Wir sind durch unsere Vorsicht nochmals mit dem Schrecken davon gekommen. Aber wir lernen daraus und werden uns vor gefährlichen Situationen in Acht nehmen. Zwar wird ein Restrisikojedoch immer bestehen bleiben, doch wir versuchen dieses so gering wie möglich zu halten.

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