Wenn ich es nicht besser wüsste, dann müsste ich den Osten
der Schwarzmeerküste für eine Kriegszone halten. Die Luft ist getrübt vom Rauch
und Schwefel, den man fast für einen Nebel halten könnte, die Menschen sind
düster und tragen oftmals Pistolen bei sich, die wenn das Tageslicht schwindet,
aus der Ferne lautstark zu hören sind. Schüsse in der Nacht sind die Nachtmusik
der Schwarz-Meerer.
Dabei ist alles anders als es aussieht: Zwar kann man den
Fakt nicht leugnen, dass die Leute ihre geschmuggelten oder aus dem
Militärdienst besitzenden Schusswaffen lieben und diese zum Feiern
missbrauchen, doch eigentlich sind die Menschen hier sehr warmherzig – wenn
auch ein wenig eigen. Ich denke man kann sie am ehesten mit Texanern (USA) den
Ostfriesen vergleichen, so isoliert und anders. Um die Stadt Trabzon hat sich
so ein regionales Fort gebildet, das eine sehr starke kollektive Identität
herausgebildet hat, das sich vor allem dadurch bemerkbar macht, dass man die
eindrucksvollen Stadtfarben (Purpur, Hellblau, Gold) auf sämtlichen Kleidungsstücken
der Einwohner wiederfindet.
Trabzon |
Der Schwefel in der Luft lässt sich durch die Tatsache
erklären, dass die Leute hier lieber Holz und Kohle verbrennen und auf eine
teure Gasheizung verzichten. Dementsprechend ist die Stadt gehüllt in
Kamindunst. Die Schüsse in der Nacht hingegen werden meist von dutzenden
hupenden Autos begleitet, die alle mit
der Nationalflagge geschmückt sind. Von einigen Einwohnern erfahre ich, dass
hier der Einzug in das Militär gefeiert wird. Es werden 2 Mal im Jahr die
jungen Männer ins Militär eingezogen. Eine echte Ehre und Landespflicht für 12
Monate an der Waffe zu dienen. Der letzte Abend mit den Freunden will also
gefeiert werden. Deswegen die Schüsse in die Luft, deswegen die Hupkonzerte.
Außerdem kennzeichnend für die Leute hier, ist, dass sie
einfach gerne mal irgendwo rumsitzen. Morgens aufstehen, in den Park gehen, auf
eine Bank sitzen und dort warten bis es Abend wird. Jeden Tag, hundertfach
sitzen sie mit ihren Elbsegler-Mützen in den Stadtfarben auf den Bänken und
betrachten das Geschehen. Selten habe ich einen so gefüllten und doch ruhigen
Park erlebt in dem sich die Menschen mit dem Schweigen und Beobachten begnügen.
Ein echtes Rentnerparadies.
Während die älteren Menschen ihr Nichtstun genießen, sieht
man viele junge Menschen aufgeregt auf den Straßen umherirren. Auf einen
Anhalter wartend, klopft mir ein junger Mann auf die Schulter. „Hey du, woher
kommst du? Wer bist du und was machst du hier?“ lispelt der neugierige Bursche,
der vor lauter Aufregung mich zu sehen ganz vergisst, dass er mitten auf der
Straße steht. Nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt habe, will er mir
unbedingt helfen. „Ich bin Dolmusfahrer, ich weiß wo du vielleicht besser
Anhalter findest. Übrigens, hast du Hunger?“ „Nein, Danke. Eigentlich habe ich
gerade erst gegessen.“ „Das macht nichts. Komm mit, ich zeig dir was!“ Und so
kommt es, dass der 17-jährige Orhan mir von seinem minimalen Tageslohn (ca. 12€)
als Dolmusfahrer 2 Sesamringe kauft, die ich mit Dank annehmen muss. Ich bin
ehrlich gesagt von seiner Geste und Gastfreundlichkeit überwältigt. Wo würde
man denn so was in Deutschland finden?
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen