Samstag, 9. Februar 2013

Schwarze Seelen

Wenn ich es nicht besser wüsste, dann müsste ich den Osten der Schwarzmeerküste für eine Kriegszone halten. Die Luft ist getrübt vom Rauch und Schwefel, den man fast für einen Nebel halten könnte, die Menschen sind düster und tragen oftmals Pistolen bei sich, die wenn das Tageslicht schwindet, aus der Ferne lautstark zu hören sind. Schüsse in der Nacht sind die Nachtmusik der Schwarz-Meerer.
Dabei ist alles anders als es aussieht: Zwar kann man den Fakt nicht leugnen, dass die Leute ihre geschmuggelten oder aus dem Militärdienst besitzenden Schusswaffen lieben und diese zum Feiern missbrauchen, doch eigentlich sind die Menschen hier sehr warmherzig – wenn auch ein wenig eigen. Ich denke man kann sie am ehesten mit Texanern (USA) den Ostfriesen vergleichen, so isoliert und anders. Um die Stadt Trabzon hat sich so ein regionales Fort gebildet, das eine sehr starke kollektive Identität herausgebildet hat, das sich vor allem dadurch bemerkbar macht, dass man die eindrucksvollen Stadtfarben (Purpur, Hellblau, Gold) auf sämtlichen Kleidungsstücken der Einwohner wiederfindet.
Trabzon
Der Schwefel in der Luft lässt sich durch die Tatsache erklären, dass die Leute hier lieber Holz und Kohle verbrennen und auf eine teure Gasheizung verzichten. Dementsprechend ist die Stadt gehüllt in Kamindunst. Die Schüsse in der Nacht hingegen werden meist von dutzenden hupenden Autos begleitet, die alle  mit der Nationalflagge geschmückt sind. Von einigen Einwohnern erfahre ich, dass hier der Einzug in das Militär gefeiert wird. Es werden 2 Mal im Jahr die jungen Männer ins Militär eingezogen. Eine echte Ehre und Landespflicht für 12 Monate an der Waffe zu dienen. Der letzte Abend mit den Freunden will also gefeiert werden. Deswegen die Schüsse in die Luft, deswegen die Hupkonzerte.
Außerdem kennzeichnend für die Leute hier, ist, dass sie einfach gerne mal irgendwo rumsitzen. Morgens aufstehen, in den Park gehen, auf eine Bank sitzen und dort warten bis es Abend wird. Jeden Tag, hundertfach sitzen sie mit ihren Elbsegler-Mützen in den Stadtfarben auf den Bänken und betrachten das Geschehen. Selten habe ich einen so gefüllten und doch ruhigen Park erlebt in dem sich die Menschen mit dem Schweigen und Beobachten begnügen. Ein echtes Rentnerparadies.
Während die älteren Menschen ihr Nichtstun genießen, sieht man viele junge Menschen aufgeregt auf den Straßen umherirren. Auf einen Anhalter wartend, klopft mir ein junger Mann auf die Schulter. „Hey du, woher kommst du? Wer bist du und was machst du hier?“ lispelt der neugierige Bursche, der vor lauter Aufregung mich zu sehen ganz vergisst, dass er mitten auf der Straße steht. Nachdem ich ihm meine Geschichte erzählt habe, will er mir unbedingt helfen. „Ich bin Dolmusfahrer, ich weiß wo du vielleicht besser Anhalter findest. Übrigens, hast du Hunger?“ „Nein, Danke. Eigentlich habe ich gerade erst gegessen.“ „Das macht nichts. Komm mit, ich zeig dir was!“ Und so kommt es, dass der 17-jährige Orhan mir von seinem minimalen Tageslohn (ca. 12€) als Dolmusfahrer 2 Sesamringe kauft, die ich mit Dank annehmen muss. Ich bin ehrlich gesagt von seiner Geste und Gastfreundlichkeit überwältigt. Wo würde man denn so was in Deutschland finden?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen