Einige Tage beginnen
verrückt und enden noch viel verrückter. Seit zwei Tagen bin ich jetzt mit
Mohammed und Theresa unterwegs. Ich traf sie
in Trabzon bei einer Couchsurferin. Sie sind Erasmusstudenten wie ich
und studieren in Izmir.
Interessanterweise haben sie fast dieselbe Route wie ich hinter sich und weil
sich auch unsere zukünftigen Reisepläne überschneiden, haben wir beschlossen
zusammen zu reisen. Was uns unterscheidet ist jedoch die Art und Weise zu
reisen. Während ich aus Bequemlichkeit es des Öfteren bevorzugt habe mit dem
Bus zu reisen, ziehen die beiden es tatsächlich durch ausschließlich per
Anhalter voranzukommen. „Wir haben in den letzten 10 Tagen vielleicht jeder
insgesamt 20 € gebraucht. Wir werden überall eingeladen und sie lassen uns bei
sich übernachten. Außerdem haben wir ja unser Zelt dabei, falls mal gar nichts
klappt.“ Für 5° Außentemperatur eine ganz schön unbequeme Option wie ich finde.
Ich merke schnell, dass wir grundverschiedene Wege gehen als sie
beschließen die 3 km zu einer
Sehenswürdigkeit zu laufen, anstatt einen Minibus für 1€ zu nehmen und sich so
1 Stunde Fußweg sparen. Während sie einfach nur mit allen Mitteln Geld sparen
wollen, will ich einfach nur mit allen Mitteln Zeit sparen. Für mich ist das
das wichtigste Gut, denn das Land ist riesig (doppelt so groß wie Deutschland),
es gibt viel zu sehen, doch die Sonne geht auch hier schon um 5 Uhr unter. Die
wenige Zeit an Tageslicht will und muss also effektiv genutzt werden.
Eines der ältesten christl. Felskloster der Welt (4. Jh.) |
Wir stehen also nach 6 Stunden Schlaf auf, um 70 km in den
Süden zu fahren und anschließend nochmals 130km in die andere Richtung
zurückzulegen. Dort ist ein Kloster aus dem 8. Jahrhundert in den Berg gebaut,
was wir heute besichtigen wollen. Aber dieses Mal mache will ich mit ihnen
gleichziehen und wir reisen zusammen per Anhalter diese Strecke über
verschiedene Städte und Dörfer. Interessanterweise funktioniert dies zu dritt
viel besser als alleine. Als Reise“gruppe“ wird man hier schnell als bedürftig
erkannt. Zum Beispiel hielt ein Auto an einer wenig befahrenen Straße für uns
an, das selbst bereits mit 4 Menschen
gefüllt war. Aber kein Problem. Wo 4 Menschen rein passen, da passen auch
irgendwie 7 Menschen rein. Irgendwie. Wie selbstverständlich nimmt die Oma die
Tante auf den Schoß, der Cousin den anderen Cousin, einer sitzt auf dem
Schaltknüppel – und los geht’s!
Als es dann gegen Abend ging und wir wieder auf einer fast
leeren Straße einen Bus zum nächsten Dorf nehmen mussten, treffen wir Zeki. „Ich bin Polizist. Willst du mit mir nachher
einen Tee zusammen trinken?“. Habe ich denn eine Wahl? „Ach komm, wir gehen
jetzt mal zu meiner Wache. Ich zeige dir wo ich arbeitet!“, wirft er seinen
eigenen Plan über den Haufen, packt mich auf freundliche Art am Arm und wir
stolzieren mit etwas mulmigen Gefühl davon. Tatsächlich landen wir auf der
örtlichen Polizeiwache. „Hey Erkan! Ich hab Freunde mitgebracht!“. Und so
sitzen wir also in der Polizeiwache, erzählen unsere Geschichten (wo wir her
kommen und was wir hier machen) und trinken dutzende Tee mit unseren neuen
Freunden. „Ihr seid die ersten Touristen, die ich hier auf der Wache
kennenlerne! Seid willkommen!“. Und tatsächlich werden wir als echte Attraktion
behandelt. „Du kommst aus Deutschland? Ah, ich habe einen Onkel dort. Warte,
ich rufe ihn an!“, und so muss ich mit Leuten in Deutschland telefonieren,
während die anderen 2 aufgefordert werden mit der englischsprechenden Tochter
des Generals zu skypen. „Hey Betül, schau mal wen ich hier habe! Sprich mal mit
denen! Ist das nicht toll? Die sind hier gerade im Dorf!“. Irgendwie alles
bizarr, aber witzig.
Polizeichef beim Skypen mit seiner Tochter |
„Und wo schlaft ihr
heute?“, stellt er schließlich die Frage, auf die Mohammed insgeheim gehofft
hat, denn sein Plan war es hier in diesem Dorf jemanden zu finden, der uns bei
sich übernachten lässt. Diese Spekulation auf die Gastfreundlichkeit ist zwar
nicht unbedingt meine Art, aber ich will mal schauen wohin das führt. „Wir
haben keinen Schlafplatz. Wir sind Studenten und haben kein Geld. Wir haben
aber unser Zelt dabei. Wir werden also draußen schlafen.“ – „Draußen? Viel zu
kalt! Nein, nein, das macht ihr nicht.“ Aha,
das machen wir also nicht? „Jetzt gebt uns erst einmal eure Ausweise. Reine
Routinekontrolle. Kein Problem.“ In Deutschland würde man an dieser Stelle laut
aufschreien: ‚Reine Routinekontrolle? Das ist ja wohl ein Problem, denn ich
stehe hier anscheinend unter Generalverdacht. Kein Problem – keine Kontrolle!
Was soll also dieses doppelte Spiel?‘. Aber wir spielen mit. Was können wir
auch anderes machen. Und wir werden
dafür belohnt: Eine Stunde später, nachdem sie gemerkt haben, dass wir „sauber“
sind, fahren wir in eine Herberge, in dem die Polizisten mit einigem Zureden
aushandeln konnten, dass wir umsonst dort schlafen können. Die Polizei in
diesem Dorf wird tatsächlich zu unserem Freund & Helfer. „Ihr seid ihr
immer herzlich Willkommen! Wir bleiben in Kontakt auf Facebook ok?“ rufen sie
mir zu während sie in den Streifenwagen steigen und daraufhin in die Nacht
düsen. Wir bleiben für einen Moment stehen, winken ihnen nach und können immer
noch nicht fassen, was heute alles passiert ist.
Ein verrückter Tag – und ich denke nicht nur für uns.
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