Wir sitzen mit unserer Gastgeberin Mina in einem Café hoch
über der Stadt auf einem Berg. Fernab von Regularien, so scheint es mir
zumindest. „Hörst du das Lied? Das ist eigentlich auch verboten hier“, erklärt
uns Mina als würde sie sich über die
Regularien lustig machen. „Aber das ist doch persisch? Und klingt auch
traditionell? Warum soll das verboten sein?“ - „Weil die Künstler im Ausland
leben. Das kommt dann automatisch auf den Index. Nur traditionelle Musik ist
erlaubt, und nur Musik aus Iran. Achja, und tanzen ist auch verboten. Selbst
das Wort „tanzen“ darf nicht in der Öffentlichkeit gebraucht werden!
Gleichgeschlechtlicher Tanz ist vielleicht noch ok, aber zweigeschlechtlich
geht hier gar nicht. Die Männer müssen hier ja auch per Gesetz einen Abstand zu
den Frauen halten. Die Frau wird mit Ehre behandelt – sagen sie zumindest so.
Auf der anderen Seite haben Frauen hier nicht zu rauchen,
nicht Fahrrad zu fahren, in der Öffentlichkeit ihren Körper zu verhüllen, und
natürlich Jungfrau bis zur Hochzeit zu sein. Der neuste Clou der Regierung: Sie
haben ein Gesetzt erlassen, dass es Frauen jetzt auch noch verbietet mit dem
Hund Gassi zu gehen. Begründung: Durch die Begleitung eines Hundes würde zu
viel Aufmerksamkeit auf die Frau gelenkt, die sich ja gefälligst unsichtbar und
reserviert gegeben soll. Achja: Und fremden Menschen helfen ist übrigens auch
verboten. Wenn ihr also jemanden sagt, dass ihr bei einem Iraner in der Wohnung
geschlafen habt, dann kommt dieser ins Gefängnis. Also passt auf, was ihr sagt!“.
Mir brummt der Kopf vor lauter Ge- und Verboten, was man
meinem Blick anscheinend auch anmerkt. „Schau nicht so. Du merkst ja selbst,
dass das nicht die Realität wiederspiegelt“ versucht mich Mina wieder
abzuholen. Letztlich finden sich immer Wege sein Leben zu leben, wenn man das
will.“ Dieser Satz bleibt mir im Gedächtnis als wir Stunden später in ein Auto
eines ihrer Freunde steigen und aus den Boxen des gestylten Iraners mit
Sonnenbrille Beat von Pitbul „International Love“ donnern. „Wunder dich nicht,
wenn er ein wenig schräg drauf ist“, warnte mich Mina zuvor vor, „Er hat vor
1-2 Stunden Marihuana geraucht. Deswegen ist er jetzt ein wenig hyperaktiv“. –
Steht darauf nicht die Todesstrafe? „Ja, wenn sie ihn erwischen“. ist die
nüchterne und indifferente Antwort.
„Wohin fahren wir
eigentlich?“ – „Darfst du dir aussuchen: Wir können zu mir und Vodka trinken
oder zu einer Underground-Shisha Bar, wo auch Frauen hin dürfen.“ Ich habe also
die Auswahl zwischen 3 und 2 Jahren Haftstrafe. Herrlich! „Ich nehm die Underground-Shisha-Bar!“.
Nach 30 min Fahrt in gefühlte Wüste Irans kommen wir
schließlich an einem Garten vorbei, der mit seinen kaputten Scheiben, Lampen
und rostigem Gartentor eher an einen Horrorfilm erinnert. „Willkommen in
unserer Welt“, spricht Mohammad stolz zu mir macht das geheime Lichtsignal zu
dem Burschen am Eingangstor, der daraufhin die riesigen, rostigen Metalltüren
öffnet. Was mir innen begegnet ist überraschend groß, überraschend geräumig und
stylisch. Ich finde ein ganzes Restaurant in einer alten Gartenanlage vor. Von
außen nicht sichtbar und durch Sicherheitsmaßnahem vor neugierigen
Schnüffelnasen abgeschirmt. „Das ist einer der einzigen Orte, an denen ich mich
mit meinen männlichen Freunden treffen kann. 30 km außerhalb der Stadt, in
einer alten Gartenanlage. Aber immerhin haben wir so etwas! Das kann nicht jede
Stadt von sich behaupten“ erklärt mir Mina mit ein klein wenig stolz in ihrer
Stimme.
Ich bewege mich mit meinen Gastgebern in den letzten Tagen
in einer ver-rückten Welt, die dadurch geprägt ist, dass die Jugend Wege sucht,
sich zu beschäftigen und restriktiven Konservatismus hinter sich zu lassen. Das
iranische System ist streng und locker in Einem – so streng, dass es sozusagen
alles pauschal verbietet, und so locker, dass es keine generelle Verfolgung
gibt,
Es ist am ehesten mit der deutschen DDR Erfahrung zu
vergleichen, in dem eine ganze Bevölkerung vor der Selektivität des Systems
erzittern musste. „Ich sage immer: Sie lassen dich in Ruhe, wenn du ihnen
nichts machst. Rückst du aber in ihrer Zielscheibe, so kannst du sicher sein,
dass sie gleich hunderte Sachen bei dir finden. Die Gesetze zwingen dich
eigentlich dazu, illegal zu leben. Fast jeder, der es sich leisten kann, hat
eine Satellitenschüssel auf dem Dach versteckt, die dann bei Kontrollen von der
Polizei mitgenommen, eine Strafe dafür bezahlt und anschließend eine neue
gekauft wird“. Sozusagen die Zirkularität des Systems.
Jeden meiner Gastgeber stelle ich die gleiche Frage und bin
überrascht über deren Konformität bezüglich der Antworten: „Was ist dein
größter Traum?“ – „Nach Amerika oder Europa auszuwandern!“ – „Warum? Was weißt
du denn über diese Regionen? Was reizt dich denn daran?“, meist stoße ich bei
dieser Fragen auf inhaltsleere Gesichter und Schulterzucken. „Keine Ahnung.
Alles was ich weiß, ist, dass es dort möglich ist, frei zu leben. Du kannst
dich glücklich schätzen, dass du dort geboren wurdest.“
Das bin ich, und das wird mir jeden Tag erneut bewusst. Ich
kann mich glücklich schätzen und ich weiß um meine Verantwortung all diesen
Menschen gegenüber, denen diese Chance auf ein einfaches Leben vielleicht
verwehrt bleibt. Ich weiß, dass ich ihnen mehr als nur meinen Respekt schulde.
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