Dienstag, 26. Februar 2013

Underground

Wir sitzen mit unserer Gastgeberin Mina in einem Café hoch über der Stadt auf einem Berg. Fernab von Regularien, so scheint es mir zumindest. „Hörst du das Lied? Das ist eigentlich auch verboten hier“, erklärt uns Mina als würde sie sich über die  Regularien lustig machen. „Aber das ist doch persisch? Und klingt auch traditionell? Warum soll das verboten sein?“ - „Weil die Künstler im Ausland leben. Das kommt dann automatisch auf den Index. Nur traditionelle Musik ist erlaubt, und nur Musik aus Iran. Achja, und tanzen ist auch verboten. Selbst das Wort „tanzen“ darf nicht in der Öffentlichkeit gebraucht werden! Gleichgeschlechtlicher Tanz ist vielleicht noch ok, aber zweigeschlechtlich geht hier gar nicht. Die Männer müssen hier ja auch per Gesetz einen Abstand zu den Frauen halten. Die Frau wird mit Ehre behandelt – sagen sie zumindest so.
Auf der anderen Seite haben Frauen hier nicht zu rauchen, nicht Fahrrad zu fahren, in der Öffentlichkeit ihren Körper zu verhüllen, und natürlich Jungfrau bis zur Hochzeit zu sein. Der neuste Clou der Regierung: Sie haben ein Gesetzt erlassen, dass es Frauen jetzt auch noch verbietet mit dem Hund Gassi zu gehen. Begründung: Durch die Begleitung eines Hundes würde zu viel Aufmerksamkeit auf die Frau gelenkt, die sich ja gefälligst unsichtbar und reserviert gegeben soll. Achja: Und fremden Menschen helfen ist übrigens auch verboten. Wenn ihr also jemanden sagt, dass ihr bei einem Iraner in der Wohnung geschlafen habt, dann kommt dieser ins Gefängnis. Also passt auf, was ihr sagt!“.
Mir brummt der Kopf vor lauter Ge- und Verboten, was man meinem Blick anscheinend auch anmerkt. „Schau nicht so. Du merkst ja selbst, dass das nicht die Realität wiederspiegelt“ versucht mich Mina wieder abzuholen. Letztlich finden sich immer Wege sein Leben zu leben, wenn man das will.“ Dieser Satz bleibt mir im Gedächtnis als wir Stunden später in ein Auto eines ihrer Freunde steigen und aus den Boxen des gestylten Iraners mit Sonnenbrille Beat von Pitbul „International Love“ donnern. „Wunder dich nicht, wenn er ein wenig schräg drauf ist“, warnte mich Mina zuvor vor, „Er hat vor 1-2 Stunden Marihuana geraucht. Deswegen ist er jetzt ein wenig hyperaktiv“. – Steht darauf nicht die Todesstrafe? „Ja, wenn sie ihn erwischen“. ist die nüchterne und indifferente Antwort.
 „Wohin fahren wir eigentlich?“ – „Darfst du dir aussuchen: Wir können zu mir und Vodka trinken oder zu einer Underground-Shisha Bar, wo auch Frauen hin dürfen.“ Ich habe also die Auswahl zwischen 3 und 2 Jahren Haftstrafe. Herrlich!  „Ich nehm die Underground-Shisha-Bar!“.
Nach 30 min Fahrt in gefühlte Wüste Irans kommen wir schließlich an einem Garten vorbei, der mit seinen kaputten Scheiben, Lampen und rostigem Gartentor eher an einen Horrorfilm erinnert. „Willkommen in unserer Welt“, spricht Mohammad stolz zu mir macht das geheime Lichtsignal zu dem Burschen am Eingangstor, der daraufhin die riesigen, rostigen Metalltüren öffnet. Was mir innen begegnet ist überraschend groß, überraschend geräumig und stylisch. Ich finde ein ganzes Restaurant in einer alten Gartenanlage vor. Von außen nicht sichtbar und durch Sicherheitsmaßnahem vor neugierigen Schnüffelnasen abgeschirmt. „Das ist einer der einzigen Orte, an denen ich mich mit meinen männlichen Freunden treffen kann. 30 km außerhalb der Stadt, in einer alten Gartenanlage. Aber immerhin haben wir so etwas! Das kann nicht jede Stadt von sich behaupten“ erklärt mir Mina mit ein klein wenig stolz in ihrer Stimme.
Ich bewege mich mit meinen Gastgebern in den letzten Tagen in einer ver-rückten Welt, die dadurch geprägt ist, dass die Jugend Wege sucht, sich zu beschäftigen und restriktiven Konservatismus hinter sich zu lassen. Das iranische System ist streng und locker in Einem – so streng, dass es sozusagen alles pauschal verbietet, und so locker, dass es keine generelle Verfolgung gibt,
Es ist am ehesten mit der deutschen DDR Erfahrung zu vergleichen, in dem eine ganze Bevölkerung vor der Selektivität des Systems erzittern musste. „Ich sage immer: Sie lassen dich in Ruhe, wenn du ihnen nichts machst. Rückst du aber in ihrer Zielscheibe, so kannst du sicher sein, dass sie gleich hunderte Sachen bei dir finden. Die Gesetze zwingen dich eigentlich dazu, illegal zu leben. Fast jeder, der es sich leisten kann, hat eine Satellitenschüssel auf dem Dach versteckt, die dann bei Kontrollen von der Polizei mitgenommen, eine Strafe dafür bezahlt und anschließend eine neue gekauft wird“. Sozusagen die Zirkularität des Systems.
Jeden meiner Gastgeber stelle ich die gleiche Frage und bin überrascht über deren Konformität bezüglich der Antworten: „Was ist dein größter Traum?“ – „Nach Amerika oder Europa auszuwandern!“ – „Warum? Was weißt du denn über diese Regionen? Was reizt dich denn daran?“, meist stoße ich bei dieser Fragen auf inhaltsleere Gesichter und Schulterzucken. „Keine Ahnung. Alles was ich weiß, ist, dass es dort möglich ist, frei zu leben. Du kannst dich glücklich schätzen, dass du dort geboren wurdest.“
Das bin ich, und das wird mir jeden Tag erneut bewusst. Ich kann mich glücklich schätzen und ich weiß um meine Verantwortung all diesen Menschen gegenüber, denen diese Chance auf ein einfaches Leben vielleicht verwehrt bleibt. Ich weiß, dass ich ihnen mehr als nur meinen Respekt schulde.

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