Montag, 11. Februar 2013

In einer anderen Welt


‚Warum eigentlich nicht mal nach Georgien gehen, wenn ich schon so nahe dran bin?‘, fragte ich mich und zog am nächsten Tag zur 3 Stunden entfernten Grenze los. Georgien und vor allem die Stadt Batumi ist schwer zu beschreiben. Architektur, die an kleine französische Gassen erinnert, glitzernde Hochhausfassaden, die an Dubai erinnern, riesige grüne Parkanlagen, die an Deutschland erinnern und Vodkaflaschen-Preise, die an Russland erinnern.

Relikt aus der Sowjet Zeit
So seltsame Dinge gibt es hier – und alles scheint so fremd. „Das georgische Alphabet ist eines von weltweit 14 Alphabeten in der Welt“ lese ich auf der zweiten Seite eines kleinen Touristenführers. Die georgischen Buchstaben erinnern ein wenig an Tolkiens „Elbisch“ und bleiben für uns undeutbar. „Schau mal, was ich hier gefunden habe! Zwiebelringe mit Biergeschmack!“ ruft mir Therese aus der anderen Ecke eines kleinen Supermarkts zu. „Bäh, nein Danke“, antworte ich und gehe wieder zur Bushaltestelle gegenüber. Der Regen, der den ganzen Tag anhält hat sich mittlerweile in den Schlaglöchern und den nicht-abfließenden Gullis zu mittelgroßen Seen entwickelt, sodass es unmöglich wird, mit trockenen Füßen eine Straße zu überqueren. Aber an nasse Füße habe ich mittlerweile längst gewöhnt.
Mit waltender Vorsicht betrachte ich den Straßenverkehr und sehe auf einmal eine blaue Zwiebelringtüte inmitten der Straße durch die Luft fliegen und von einem kurzen Quietschen eines Autos begleitet wird. Kurz hinter der Zwiebelringtüte sehe ich wie Theresa, getroffen von der Wucht des Autos, derselben Flugbahn folgt und 4 Meter weiter hinten zuerst auf ihrem Rucksack auf den Boden aufschlägt. „Scheiße, scheiße, scheiße!“, fluche ich mit lauter werdender Stimme auf Deutsch. „Das darf jetzt nicht wahr sein, oder?!“ Ich eile auf die Straße, und erleide fast dasselbe Schicksal, da es die Autofahrer anscheinend nicht zu kümmern scheint, was hier gerade passiert. „Geht es dir gut? Kannst du dich bewegen?“ Unter Schock stehend gafft sie mich mit aufgerissenen Augen an: „Ich bin ok. Alles gut. Kein Problem“, versucht aufzustehen und merkt, dass ihr Knöchel schmerzt. „Aber das ist kein Problem. Das tut nur ein bisschen weh.“ Es ist einer ihrer Charakterzüge Probleme nicht als solche ernst zu nehmen und alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Ihre kindliche Naivität bringt uns jedoch hier nicht weiter. Im Nu eilen georgische Mitbürger herbei, um zu helfen, oder zumindest sie von der Straße zu schaffen, damit die in Hupkonzert fallenden Autofahrer endlich weiterfahren können.
Wie fremd und hilflos wir in diesem Land, dessen Sprache wir nicht sprechen und deren Schrift wir nicht lesen können, sind, das merken wir im Anschluss. „Ambulanz! Polis!“ rufen wir ihnen zu. Auf letzteres wollen sie nicht eingehen, aber bieten uns freundlicherweise an, uns in ein Krankenhaus zu bringen. Wir steigen im stärker werden Regen in einen alten, roten Van der 3 hilfsbereiten Burschen und düsen davon. Alles geht auf einmal so schnell. Keiner fragt nach unseren Namen, keiner fragt was passiert ist und keiner interessiert sich für das Unfallfahrzeug, das sich auf der Gegenüberliegenden Straßenseite gerade wieder zur Weiterfahrt bereit macht. Auch ein Polizist, der 15m von Unfallgeschehen mit einem Regenschirm in der Hand am Straßenrand steht, interessiert sich sonderlich nicht für den Vorfall und beobachtet das Geschehen lediglich aus der Ferne mit ein wenig Desinteresse.
Im Krankenhaus
Wir verstehen die Welt nicht mehr, aber wollen und müssen den 3 Jungs vertrauen. Der Verkehr, der Regen, die schlechten Straßenverhältnisse und die Unmöglichkeit der Kommunikation mit unseren Fahrern machen die Situation nicht gerade angenehmer. Wir holpern in dem roten Van, dessen Windschutzscheibe 2 riesige Risse zieren – die jedoch für den Fahrtkomfort völlig unbedeutend sind, weil man aufgrund der beschlagenen Scheiben sowie nichts sieht – Richtung Krankenhaus. Besser gesagt: „Krankenhaus“. Es ist eine alte, sowjetische Kaserne, die als Krankenhaus umfunktioniert wurde, die man jedoch genauso gut für Frankensteins Geburtsstätte halten könnte. Ohne viel Bürokratie ohne Versicherungsnachweis wird Theresas Knöchel eilig geröntgt. Nach einigen Minuten Warten erhalten wir dann von der ausschließlich russischsprachigen Ärztin einen Daumen nach oben. Was auch immer das heißen mag. Theresa fühlt sich in ihrer „Alles easy. Ich kann immer noch alles machen“-Art bestätigt und wir verlassen das Krankenhaus mit einer kühlenden Salbe und einigen Schmerztabletten, die uns die georgischen Jungs in der Zwischenzeit aus einer Apotheke gekauft haben.
Einfach nur noch heim. Aber wie, wenn man nicht mal Ortsnamen lesen kann?
Alles, was wir jetzt noch wollen ist raus. Raus aus diesem Land, der Hilflosigkeit, der Kommunikationslosigkeit, der Trostlosigkeit, der Fremde. Türkei – wir kommen. Bitte empfange uns wie gewohnt mit offenen Armen. Wir könnten eine trostspendende Schulter gerade gut brauchen.

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