‚Warum eigentlich nicht mal nach Georgien gehen, wenn ich
schon so nahe dran bin?‘, fragte ich mich und zog am nächsten Tag zur 3 Stunden
entfernten Grenze los. Georgien und vor allem die Stadt Batumi ist schwer zu
beschreiben. Architektur, die an kleine französische Gassen erinnert,
glitzernde Hochhausfassaden, die an Dubai erinnern, riesige grüne Parkanlagen,
die an Deutschland erinnern und Vodkaflaschen-Preise, die an Russland erinnern.
Relikt aus der Sowjet Zeit |
So seltsame Dinge gibt es hier – und alles scheint so fremd.
„Das georgische Alphabet ist eines von weltweit 14 Alphabeten in der Welt“ lese
ich auf der zweiten Seite eines kleinen Touristenführers. Die georgischen
Buchstaben erinnern ein wenig an Tolkiens „Elbisch“ und bleiben für uns
undeutbar. „Schau mal, was ich hier gefunden habe! Zwiebelringe mit
Biergeschmack!“ ruft mir Therese aus der anderen Ecke eines kleinen Supermarkts
zu. „Bäh, nein Danke“, antworte ich und gehe wieder zur Bushaltestelle
gegenüber. Der Regen, der den ganzen Tag anhält hat sich mittlerweile in den
Schlaglöchern und den nicht-abfließenden Gullis zu mittelgroßen Seen
entwickelt, sodass es unmöglich wird, mit trockenen Füßen eine Straße zu
überqueren. Aber an nasse Füße habe ich mittlerweile längst gewöhnt.
Mit waltender Vorsicht betrachte ich den Straßenverkehr und
sehe auf einmal eine blaue Zwiebelringtüte inmitten der Straße durch die Luft
fliegen und von einem kurzen Quietschen eines Autos begleitet wird. Kurz hinter
der Zwiebelringtüte sehe ich wie Theresa, getroffen von der Wucht des Autos,
derselben Flugbahn folgt und 4 Meter weiter hinten zuerst auf ihrem Rucksack
auf den Boden aufschlägt. „Scheiße, scheiße, scheiße!“, fluche ich mit lauter
werdender Stimme auf Deutsch. „Das darf jetzt nicht wahr sein, oder?!“ Ich eile
auf die Straße, und erleide fast dasselbe Schicksal, da es die Autofahrer
anscheinend nicht zu kümmern scheint, was hier gerade passiert. „Geht es dir
gut? Kannst du dich bewegen?“ Unter Schock stehend gafft sie mich mit
aufgerissenen Augen an: „Ich bin ok. Alles gut. Kein Problem“, versucht
aufzustehen und merkt, dass ihr Knöchel schmerzt. „Aber das ist kein Problem.
Das tut nur ein bisschen weh.“ Es ist einer ihrer Charakterzüge Probleme nicht
als solche ernst zu nehmen und alles auf die leichte Schulter zu nehmen. Ihre
kindliche Naivität bringt uns jedoch hier nicht weiter. Im Nu eilen georgische
Mitbürger herbei, um zu helfen, oder zumindest sie von der Straße zu schaffen,
damit die in Hupkonzert fallenden Autofahrer endlich weiterfahren können.
Wie fremd und hilflos wir in diesem Land, dessen Sprache wir
nicht sprechen und deren Schrift wir nicht lesen können, sind, das merken wir
im Anschluss. „Ambulanz! Polis!“ rufen wir ihnen zu. Auf letzteres wollen sie
nicht eingehen, aber bieten uns freundlicherweise an, uns in ein Krankenhaus zu
bringen. Wir steigen im stärker werden Regen in einen alten, roten Van der 3
hilfsbereiten Burschen und düsen davon. Alles geht auf einmal so schnell.
Keiner fragt nach unseren Namen, keiner fragt was passiert ist und keiner
interessiert sich für das Unfallfahrzeug, das sich auf der Gegenüberliegenden
Straßenseite gerade wieder zur Weiterfahrt bereit macht. Auch ein Polizist, der
15m von Unfallgeschehen mit einem Regenschirm in der Hand am Straßenrand steht,
interessiert sich sonderlich nicht für den Vorfall und beobachtet das Geschehen
lediglich aus der Ferne mit ein wenig Desinteresse.
Im Krankenhaus |
Wir verstehen die Welt nicht mehr, aber wollen und müssen
den 3 Jungs vertrauen. Der Verkehr, der Regen, die schlechten
Straßenverhältnisse und die Unmöglichkeit der Kommunikation mit unseren Fahrern
machen die Situation nicht gerade angenehmer. Wir holpern in dem roten Van,
dessen Windschutzscheibe 2 riesige Risse zieren – die jedoch für den
Fahrtkomfort völlig unbedeutend sind, weil man aufgrund der beschlagenen
Scheiben sowie nichts sieht – Richtung Krankenhaus. Besser gesagt:
„Krankenhaus“. Es ist eine alte, sowjetische Kaserne, die als Krankenhaus
umfunktioniert wurde, die man jedoch genauso gut für Frankensteins
Geburtsstätte halten könnte. Ohne viel Bürokratie ohne Versicherungsnachweis
wird Theresas Knöchel eilig geröntgt. Nach einigen Minuten Warten erhalten wir
dann von der ausschließlich russischsprachigen Ärztin einen Daumen nach oben.
Was auch immer das heißen mag. Theresa fühlt sich in ihrer „Alles easy. Ich
kann immer noch alles machen“-Art bestätigt und wir verlassen das Krankenhaus
mit einer kühlenden Salbe und einigen Schmerztabletten, die uns die georgischen
Jungs in der Zwischenzeit aus einer Apotheke gekauft haben.
Einfach nur noch heim. Aber wie, wenn man nicht mal Ortsnamen lesen kann? |
Alles, was wir jetzt noch wollen ist raus. Raus aus diesem
Land, der Hilflosigkeit, der Kommunikationslosigkeit, der Trostlosigkeit, der
Fremde. Türkei – wir kommen. Bitte empfange uns wie gewohnt mit offenen Armen.
Wir könnten eine trostspendende Schulter gerade gut brauchen.
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