„Du musst Benjamin sein, richtig? Ich bin M. und das
ist meine Schwester R.“ – „Ah, freut mich euch kennenzulernen,“ antworte
ich und strecke meine Hand zum Händeschütteln entgegen und begehe damit schon
den ersten Fehler, über den sie mich später aufklären werden. „Man reicht
Frauen hier nicht die Hände. Die Begrüßung und Verabschiedung erfolgt hier
Berührungslos zwischen den Geschlechtern. Und noch was: Schau keine Frau länger
als 3 Sekunden an. Sonst wird man sehr schnell misstrauisch hier.“ Was sie
damit meint, erfahre ich am selben Abend live in einer Fußgängerpassage. Links
neben mir läuft ein junger Mann, der der entgegenkommenden Frau nachschaut.
Dumm bloß, dass deren Ehemann neben ihr her lief, dies mitbekam und kurzerhand
zurück gerannt kam, um den ungezogenen Nachkucker eine Faust in den Rücken zu
schlagen und diesen als Sittenstrolch zu bezeichnen. Nach kurzem Handgemenge
war es aber auch schon wieder vorbei und die Herren Verteidiger der Eh(r)e und Herrn Sittenstrolch gehen getrennte Wege.
Gut, dass M. und vor solchen Fehltritten gewarnt hat.
Sie ist eine wirklich hervorragende Gastgeberin und das, obwohl sie so
unglaublich aufgeregt war. „Ich hatte unglaubliche Angst euch kennenzulernen.
Mein Englisch ist nicht so gut, ihr seid männlich, ihr seid gleich zu zweit und
ich habe noch nie mit einem Deutschen geredet…. Ehrlich gesagt: Ich habe
überhaupt noch nie mit einem Fremden geredet“ gesteht sie uns schamvoll. Umso
mutiger ist ihre Tat, uns einzuladen, uns zu beherbergen und uns einen
unglaublichen Vertrauensvorschuss zu geben. Die Gastfreundlichkeit und der
Wunsch Kontakte zur „Außenwelt“ zu knüpfen, stehen bei all unseren Gastgebern
im Vordergrund.
„Wie ist das eigentlich mit der Heirat, M.?“ frage ich
gezielt eine sehr, sehr brisante Frage. M. selbst ist eine Frau und im
Iran bedeutet Frau-Sein auch gleich Kopftuchtrage-Pflicht. Wie dies zu tragen ist,
bleibt jedoch Auslegungssache. Zwischen modisches Assessor und Ganzkörperverhüllung
ist hier alles zu finden. Aber über die Religiosität der Menschen will ich ein
anderes Mal schreiben.
Wir in traditioneller iranischer Tracht |
„Die Heirat…“, antwortet M. schließlich zögerlich, „ja
das ist hier so ein Ding…“. Es folgt eine lange Denkpause, die ich nochmals
nutzen will, um meine Frage zu spezifizieren: „Also, was machst du, um einen
Mann zu finden, den du magst?“ – „Beten! Da hilft nur beten!“ wirft ihre
Schwester auf dem Fahrersitz des Autos ein. „Das ist alles Familiensache.
Jemand ruft bei meinen Eltern an und fragen, ob ich noch frei bin. Und diese
geben dann ihre Zustimmung oder eben auch nicht. Mitbestimmungsrecht hat man
nur, wenn man einen guten Draht zu seinen Eltern hat. Doch irgendwann wird der
soziale Druck so stark, dass du annehmen musst, weil du sonst diese ganzen
Familien verärgerst und es dann immer schwieriger für dich wird. Spätestens im
Alter von 30 Jahren musst du verheiratet sein, sonst werden hier Fragen
gestellt.“
Spät am Abend kommen ihr Bruder und seine Frau zu besuch.
Sie haben Zwillinge, die beide irgendwie in meine blauen Augen vernarrt sind.
Es dauert keine 15 min und schon wollen zeigen sie auf mich und sagen: „Onkel
Deutscher, hoch, hoch!“ was so viel heißt wie: „Ich will auf deinen Schoss.“
Mit Kindern kommuniziert es sich am leichtesten. Wir brauchen keine gemeinsame
Sprache, um uns zu verstehen.
Doch in Anbetracht dieser unschuldigen Kinderaugen muss ich
ihre Zukunft antizipieren. Der Junge wird später 2 Jahre lang zum Militärdienst
müssen, während seine Schwester verheiratet wird ohne das Wort Liebe jemals
verstanden zu haben. Und wir in Deutschland? Uns geht es so gut, dass wir uns
sogar über Pferdefleisch aufregen können.
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